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ONEtoONE 6/2023 - Handelsmarketing im Fokus
Retail Media verändert sich, breitet sich im gesamten Handel aus. Banner- und Videowerbung auf E-Commerce-Seiten waren der Anfang, damit etablierte sich der Begriff vor wenigen Jahren erst im Online-Marketing. Doch seither hat sich das Verständnis gewandelt und die technischen Möglichkeiten auch. Retail Media, das ist heute Werbung im Handel ganz allgemein. Und seit wenigen Monaten auch ganz offiziell. Denn der
Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW)
hat im Frühsommer eine Definition seines Retail Media Circle (RMC) veröffentlicht, die von der Branche denn auch umgehend akzeptiert wurde.
"Retail Media ist die einzigartige Möglichkeit, Marken und Produkte dort zu präsentieren, wo ihre Relevanz, Wahrnehmbarkeit und Akzeptanz hoch, ihr Weg zum Kunden sehr kurz und ihr Kontext am natürlichsten sind. Als Mediengattung ermöglicht Retail Media auf Basis einer datengetriebenen Historie eine Funnel-übergreifende Messbarkeit der Werbewirkung, und dies direkt im digitalen und physischen Ökosystem des Retailers - On- und Offsite."
Das Leistungsportfolio der neuen Werbegattung in der Übersicht.
Grafik: Retail Media Circle, Fachkreis im BVDW; Grafik: Hightext Verlag
Soweit also der RMC. Was das konkret bedeuten kann, zeigt eine Kampagne des Sportartikelherstellers Under Armour bei dem Branchenfilialisten SportScheck. Im Mittelpunkt stand dabei der Rennfahrer Mick Schumacher, dessen Foto Under Armour für umfangreiche Branding-Maßnahmen nutzte. Belegt wurden große Werbeflächen an SportScheck-Fassaden in Köln, Stuttgart, Berlin, Hannover und Dortmund, Newsletter an bestimmte Zielgruppen gingen raus, auf prominenten Seiten von sportscheck.com schaltete das Unternehmen Display Ads, es gab Videospots auf Digital-Signage-Bildschirmen in allen SportScheck-Filialen und natürlich begleiteten Social-Media-Posts die Aktionen. Außerdem nutzte das Münchner Werbetechnologieunternehmen Laya die Kundendaten von SportScheck, um potentielle KäuferInnen außerhalb von sportscheck.com zu erreichen. Sponsored Products-Anzeigen im Online-Shop des Sportgeschäfts ergänzten die Kampagne. Das Resultat waren 1,3 Mio. Page Impressions auf sportscheck.com und 1,1 Mio. Newsletter-Kontakte. Vor allem mit dem ROAS-Wert (Return on Advertising Spend) der Sponsored-Products-Kampagne zeigte sich Under Armour sehr zufrieden, bezeichnete deren Performance als überdurchschnittlich.
Wie Listerine die Konversionsrate um 198 Prozent steigerte
Um herauszufinden, wie Werbemaßnahmen und Umsätze zusammenhängen, arbeitete der US-Konzern Johnson&Johnson mit dem Marketing-Dienstleister The Trade Desk zusammen. Das Ziel: Die First-Party-Daten einer spanischen Supermarktkette für eine Kampagne der Zahnpflege-Marke Listerine zu nutzen. Die stellte der Einzelhändler auf der Plattform von The Trade Desk zu Verfügung, wo sie von Johnson & Johnson detailliert analysiert wurden. Tracking-Daten der gesamten Customer Journey, vom Erstkontakt bis zum Kauf, ermöglichten es, die beste Zielgruppe für Listerine herauszudestillieren. In der Folge gingen Video- und Display-Ads an sie raus, mit dem Resultat, dass die Werbekosten pro Kauf um 50 Prozent sanken und die Konversionsrate im Kampagnenzeitraum um 158 Prozent stieg. Johnson & Johnson weiß dank der First-Party-Daten jetzt sowohl wie eine erfolgversprechende Werbefrequenz für die anvisierte Zielgruppe zu setzen ist, als auch welche Kaufverhalten diese hat und wann genau sie am besonders gut ansprechbar ist.
Mitsubishi zeigt seinen neuen SUV im Livestream auf Amazon
Statt für die Produkteinführung des Outlander ein exklusives Launch-Event vor wenigen Gästen zu veranstalten, wählte der japanische Automobilhersteller den Weg über das Internet: Amazon Ads platzierte die Vorführung des neuen Modells in einem Livestream auf seinen ECommerce-Seiten und ermöglichte es so mehreren tausend Zuschauern bei der Präsentation dabei zu sein - was auch hieß, Fragen zu stellen und Wünsche zu äußern, auf die live eingegangen wurde. Die Vorgaben des Unternehmens an die Zahl der Livestream-Abrufe konnten dabei in der Hälfte der Zeit verdoppelt werden und für den Monat nach dem Launch-Event meldete Mitsubishi ausgebuchte Testfahrten.
Benedikt Mecking, Head of New Business & Corporate Sales bei der Mönchengladbacher Mediaagentur
Media Central Group
, sieht eine solche Omnichannel-Strategie als wegweisend für die weitere Entwicklung von Retail Media an: "Online-Shops als Vertriebskanal für Werbung werden auf Dauer nicht ausreichen, Retail Media bedarf dringend weiterer Kanäle. Schon allein um möglicherweise geringe Reichweiten zu erhöhen." Dieses Problem wird nämlich durch den Erfolg von Amazon etwas verdeckt: 2,43 Milliarden Euro hat der US-Händler im vergangenen Jahr allein in Deutschland mit Werbung auf seinen Seiten eingenommen. Übertragen lässt sich das Geschäft aber nicht so einfach auf andere Online-Shops. Der Handel auf Amazon macht 56 Prozent des gesamten ECommerce-Umsatzes in Deutschland aus. Dank dieser immens hohen Marktbedeutung kann der Generalist mit Agenturen ganz anders reden als Spezialisten wie etwa Doc Morris oder Breuninger.
Wie Arla auf einen ROAS von 7:1 kommt
Während Google Ads schon bei einem Verhältnis von 4:1 als erfolgreich gelten, bringt Retail Media Fallbeispiele wie dieses hervor: Für ihre Milchmarke Hansano hat die Molkereigenossenschaft Arla auf Werbung im Online-Shop von Rewe gesetzt, speziell auf Anzeigen, die dort laufen, wo Menschen die Ergebnisse ihrer Suche sehen. Die Sponsored Product Ads werden unter den ersten 10 Produkten angezeigt.
Klickt jemand auf die Anzeige, fließt Geld an Rewe. Bei Hansano klickten sehr viele Menschen: Der Return on Advertising Spend erreichte Werte von bis zu 739 Prozent. Am höchsten war der ROAS immer dann, wenn Arla Suchbegriffe und Kategorien belegte, die sehr nahe bei den beworbenen Produkten lagen. Aber mit 34 Prozent kann sich auch die durchschnittliche Konversionsrate für Hansano auf rewe.de durchaus sehen lassen.
"TKP's sind bei kleineren Online-Shops vielen Werbetreibenden vielleicht zu teuer, mit zusätzlichen Reichweiten auf externen Seiten lässt sich das ausgleichen", meint Mecking. "Die Ausweitung auf andere Kanäle ist da im ureigensten Interesse der Retail-Media-Verkäufer. Bald werden wir häufig Co-Branding-Werbung auf großen Internetseiten sehen, also zwei Logos in einer Anzeige, das des Shops und das der dort vertretenen Marke mit ihrem Produkt."
Grafik: FOMA-Trendmonitor 2023; Grafik: Hightext Verlag
Das beste Verkaufsargument aller Online-Shops ist aber gar nicht die Reichweite, auch wenn große Marktteilnehmer wie Zalando oder MediaMarktSaturn auf 50-100 Millionen NutzerInnen pro Monat kommen, sondern die gesammelten Kundendaten aus allen Transaktionen (Besuche, Käufe, Kaufabbrüche, Newsletter, Loyalty-Programme etc.) über die gesamte Customer Journey hinweg: First-Party-Data sind das neue Gold der Online-Branche. Spätestens wenn Google in einem Jahr damit beginnen wird, Cookies auf seinem marktbeherrschenden Browser Chrome nicht mehr zu unterstützen, ist es vorbei mit dem bequemen Tracking. Erstklassige Daten sind dann aller Voraussicht nach am einfachsten bei den Online-Shops zu bekommen. Genau darauf baut der aktuelle Retail-Media-Boom auf.
10,5 Milliarden Euro werden die europäischen Retail-Media-Plattformen in diesem Jahr umsetzen, schätzt der Digitalverband IAB Europe und legt die Messlatte für die weitere Entwicklung hoch. Mehr als verdoppeln soll sich der Umsatz in Europa innerhalb der nächsten drei Jahre. Für Deutschland liegen noch keine exakten Zahlen vor, da der Markt noch evaluiert wird (siehe Interview), doch eine Dmexco-Umfrage unter Agenturen brachte kürzlich ein sehr positives Stimmungsbild hervor. Laurence Phillips, Consulting Lead Commerce & Performance bei der
Publicis Groupe Germany
, schätzt, dass allein der Bereich Retail Search in den nächsten Jahren um jeweils 15 Prozent wachsen wird. Anna Sibbing, Head of E-Commerce bei Havas Media Germany, sieht bei ihren Kunden sogar ein Wachstum von 30 Prozent in diesem wie im kommenden Jahr. Und Uwe Roschmann Managing Director der Omnicom Media Group Germany, bezeichnet Retail Media rundweg als "eine der dynamischsten Branchen", die das "Wachstum im digitalen Werbemarkt maßgeblich voran" treibe - "ganz gleich welche Studienprognosen wir betrachten."
Die Erwartungshaltung ist also riesig, entsprechend werden neue Partnerschaften vorgestellt und technische Lösungen bereitgestellt. Eine ganz neue Werbelandschaft ist derzeit im Entstehen: Für viele Marktteilnehmer ist sie das nächste große Ding im Digitalmarketing nach Search und Social Media.
Obi etwa ging mit seiner Obi First Media Group Partnerschaften mit Microsoft und Publicis Media ein - erstere, um mit einer großen Retail-Media-Plattform alle Vorteile automatisierter Werbebuchungen anbieten zu können, die andere, um das Inventar für die Kunden einer große Mediaagentur bereitzustellen. Patricia Grundmann, Vice President Retail Media und Geschäftsführerin der
Obi First Media Group
, ist überzeugt, dass "die gezielte Werbeansprache mit passgenauen Angeboten für den Käufer in seiner ganz eigenen Customer Journey für Marken ein wertvolles Gut" ist, "das es zu pflegen und weiterzuentwickeln gilt."
"Das Spannende an Retail Media sind die First-Party-Daten der Händler, denn damit können Werbetreibende Nutzer über alle digitalisierten Werbeplätze erreichen."
Bild: The Trade Desk
Schwarz Media, Vermarktungseinheit für Lidl und Kaufland, kooperiert mit dem US-Unternehmen The Trade Desk, dessen Demand-Side-Plattform Werbebuchungen im offenen Internet ermöglicht, also außerhalb geschlossener Systeme wie Amazon, Facebook oder Google. Ferdinand Schmitt-Besenthal, Lead Director Business Development Brands bei The Trade Desk
, betont: "Das Spannende an Retail Media sind die First-Party-Daten der Händler, denn damit können Werbetreibende und ihre Agenturen Nutzer mit einem konkreten Kaufinteresse oder einer Einkaufshistorie kanalübergreifend im Open Internet erreichen. Das bedeutet zum Beispiel über Display, Online Video, Digital Out-of-Home, Connected TV oder Audio - im Grunde über alle digitalisierten Werbeplätze." Diese Retail-Media-Datensegmente können innerhalb von Kampagnen auf Werbeinventar zum Beispiel von Außenwerbern wie Ströer und WallDecaux sowie den TV-Sendern RTL und ProsiebenSat.1 aktiviert werden. Implizit im Visier der Partnerschaft: Die Daten aus den Online-Shops von Lidl und Kaufland sollen Werbungtreibenden dazu dienen, relevante User zu erreichen sowie den Einfluss digitaler Anzeigen auf den direkten Verkauf zu messen und Kampagnen entsprechend zu optimieren.
Grafik: FOMA-Trendmonitor 2023; Grafik: Hightext Verlag
Auch die schiere Anzahl der Retail-Media-Anbieter ist 2023 stark gestiegen: Gut die Hälfte aus den Top20 der deutschen Online-Shops ist jetzt dabei, zuletzt auch die Versandapotheke DocMorris (Technologiepartner: Criteo) und das Modekaufhaus Breuninger (Technologiepartner: Microsoft).
Und die nächste Entwicklungsstufe steht Retail Media kurz bevor: Nicht-endemische Marken sind nach Einschätzung von Werbeflächenanbietern wie Obi oder Breuninger gut beraten, ebenfalls in Online-Shops oder am POS von Omnichannel-Händlern zu werben - also Marken, die dort gar nicht verkaufen, die aber an deren Zielgruppen interessiert sind. In der Tat: Was spricht gegen Werbung für Filme und Bücher über Michael Jordan gleich neben den Nike-Sneakern bei Zalando? Oder gegen ein Wanderreiseangebot in der Bergausrüstungsabteilung von SportScheck? Retail Media steht noch ganz am Anfang seiner Möglichkeiten.
Wie Lancôme mit Testberichten ein neues Produkt lancierte
Das Beauty-Segment ist bekannt für seine konservative Kundschaft: Was einmal funktioniert hat, soll möglichst ewig so weiter gehen. Neue Produkte haben es da schwer und brauchen ordentlich Starthilfe. Zum Start eines neuen Hautpflegeprodukts von Lancôme sollte daher, neben klassischer Werbung, vor allem eine Rezensionskampagne für die nötige Aufmerksamkeit sorgen. Beauftragt wurde dafür Douglas Marketing Solutions. Frauen im Alter zwischen 45 und 60 Jahren, alle Beauty-Kundinnen bei Douglas, erhielten einen Newsletter mit dem Testing-Angebot. 200 Kundinnen wurden aus den Bewerberinnen ausgewählt, die dann 32 Instagram-Postings und 177 Bewertungstexte absetzten. Audience Ads in Verbindung mit dem Beauty Testing generierten 538.375 Impressionen und führten zu einem Anstieg der Konversionsrate von 11 Prozent. Die Beauty Tester Campaign auf douglas.de wertet die Content Page des Lancôme-Produktes dauerhaft auf, denn Kundentests gelten vielen VerbraucherInnen als vertrauenswürdige Informationsquelle. Highlight-Posts von Instagram erzeugten einen zusätzlichen Halo-Effekt auf der Produktdetailseite für das Rénergie H.F.C. Triple Serum.
Mit Retail Media zu 2.000 eingelösten Purina-Coupons
Um KäuferInnen von Katzenbedarf zu erreichen, griff Nestlé für seine Marke Purina zum einen auf die Kaufdaten einer deutschen Supermarktkette zurück, zum anderen auf zwei spezielle Kundengruppen, die über die Plattform von The Trade Desk identifiziert wurden: Menschen mit einer hohen Neigung für Coupon-Rabatte und solche mit hohe Warenkorberlösen. Alle drei Zielgruppen erhielten Werbung für Purina-Coupons auf ihre Handys. Zu Kontrollzwecken definierte die zuständige Mediaagentur Path eine Kontrollgruppe an Katzenliebhabern, der die Werbung nicht angezeigt wurde. Nach dem Ausspielen der Werbung an 700.000 Menschen stellte sich heraus, dass es 38 Prozent günstiger war, Neukunden unter KäuferInnen von Katzenbedarf zu finden als unter nicht-spezifischen KonsumentInnen. Zudem lösten 2.000 Personen mit Werbekontakt die Coupons auch ein - was 30 Prozent mehr waren, als jene Zielgruppe, die keine Werbung ausgespielt bekommen hatte.