Digitale Kundenerlebnisse am PoS: Wie mobile Services den stationären Handel stärken

Ikea-KundInnen können mit der App-Funktion in der Filiale ihre Lieblingsprodukte gleich einscannen und später an der Kasse bezahlen - ohne Warteschlange. (Bild: Inter IKEA Systems B.V.)
Ikea-KundInnen können mit der App-Funktion in der Filiale ihre Lieblingsprodukte gleich einscannen und später an der Kasse bezahlen - ohne Warteschlange.

26.07.2022 - Die Investition in mobile Services steht bei vielen Händlern ganz oben auf der To-Do-Liste. Konzerne wie OBI und Ikea machen vor, wie sich mit Apps KundInnen binden und in die stationären Läden holen lassen.

von Frauke Schobelt

Die KonsumentInnen von heute und morgen unterscheiden sich deutlich von den Vor-Corona-ShopperInnen. Die Customer Journey ist zwangsweise digitaler geworden, die Bequemlichkeit beim Onlineshopping längst Standard. Die Erwartungshaltung an das Einkaufserlebnis im Handel ist entsprechend gestiegen und zwar nicht nur online, sondern auch im Ladengeschäft. Ob WLAN im Geschäft, Click & Collect, bargeldloses Bezahlen, Mobile Apps mit Rabattcodes, Navi-Funktion und Echtzeit-Informationen über Waren und Preise - laut einer Bitkom   -Umfrage wünschen sich drei Viertel der deutschen InternetnutzerInnen beim Einkaufen im stationären Handel mehr Service durch digitale Technologien. Vor allem bei den Jüngeren steht das ganz oben auf der Wunschliste.

Dieser gestiegene Anspruch ist den Händlern durchaus bewusst, wie die Adobe   -Studie "Digitale Trends 2022 - Einzelhandel im Fokus"   zeigt, für die mehr als 500 Führungskräfte im Einzelhandel befragt wurden. Rund die Hälfte (53 Prozent) der ManagerInnen ist demnach der Ansicht, dass die Anforderungen an digitale Erlebnisse noch in diesem Jahr zunehmen werden. Die Interaktion der Systeme und die engere Zusammenarbeit im Unternehmen sind daher dringliche Aufgaben, um sicherzustellen, dass online begonnene Customer Journeys erfolgreich offline abgeschlossen werden und umgekehrt.

"Marketer im Einzelhandel müssen beachten: KundInnen kaufen nicht auf bestimmten Kanälen, sie kaufen überall. Vor diesem Hintergrund wird klar, dass die Grenzen zwischen Online- und stationärem Handel nicht verschwimmen, sondern sich auflösen", mahnt Adobe an.

Einheitliche User Experience bieten

Diese Entwicklung bestätigen auch das IFH Köln   und Capgemini   , die sich in einem Thesenpapier zur Studie "Retail of the Future - Consumer Insights"   mit der Zukunft des Handels beschäftigen. Die Experten bescheinigen dem stationären Handel trotz Onlineshift des Konsums ein großes Zukunftspotenzial, sofern besondere Einkaufserlebnisse und digitale Verzahnungen geschaffen werden. Dabei sollte das stationäre Ladengeschäft jedoch nicht nur als reiner Transaktionskanal, sondern vielmehr als emotionaler und persönlicher Kunden-Touchpoint verstanden werden.

Gelingt es dem Handel 2022, die Menschen davon zu überzeugen, dass der Besuch im Geschäft sich wieder lohnt, könnten entscheidende Weichen für seine Zukunft gestellt werden, davon ist Dr. Kai Hudetz , Geschäftsführer des IFH Köln, überzeugt. "Das kann nicht nur über Events oder besondere persönliche Shopping-Erlebnisse passieren, sondern auch über Angebote wie Click & Collect oder Live Shopping." VerbraucherInnen erwarten "das gleiche Einkaufserlebnis, egal ob online oder offline", ergänzt Achim Himmelreich , Global Head of Consumer Engagement, Consumer Products & Retail bei Capgemini. Statt in Silos zu denken, sollten sich Einzelhändler daher darauf konzentrieren, "überall eine einheitliche, überragende User Experience zu bieten."

Um eine zusammenhängende Customer Journey zu gewährleisten und die Kundenerwartungen an Omnichannel-Services zu erfüllen, stehen laut Adobe unter anderem digitaler Self-Service, der Einsatz von KI zur Optimierung von Abläufen in Ladengeschäften und personalisierte, auf dem Online-Verhalten basierende Erlebnisse in Verkaufsräumen bei Führungskräften im Einzelhandel weit oben auf der Prioritätenliste (siehe Grafik 1). Gerade die Personalisierung stellt jedoch viele Unternehmen vor große Herausforderungen, denn die Voraussetzung dafür sind Daten, die nicht nur gesammelt, sondern auch genutzt werden. Häufig mangelt es jedoch an den Möglichkeiten, diese dann in Erkenntnisse und Maßnahmen umzusetzen. Für 57 Prozent der Befragten zählen daher Investitionen in den Bereich "Daten und Erkenntnisse" zu den wichtigsten technologischen Prioritäten in diesem Jahr. Die dringlichsten Aufgaben sind dabei die Verknüpfung bestehender Datenströme, die Schaffung von Kapazitäten für die Aufnahme neuer Daten und die Implementierung von Methoden zur schnellen Nutzung dieser Daten. All dies wird mit dem bevorstehenden Wegfall der Third-Party-Cookies noch komplizierter. Die Gewinnung und Nutzung von First-Party-Daten gewinnt deshalb immer mehr an Bedeutung.

CAMP: In jeder Filiale andere Produkte

Passgenaue Sortimente in jeder CAMP-Filiale. (Bild: CAMP/Youtube Screenshot)
Passgenaue Sortimente in jeder CAMP-Filiale.

Was sich mit den richtigen Daten stationär anstellen lässt, zeigt etwa die US-Spielwarenkette CAMP   , die sich selbst die "Family Experience Company" nennt und über die das Magazin Forbes   schwärmt: "Die Zukunft des Einzelhandels liegt in diesem Geschäft".

Auf Basis lokaler Kundendaten und des Kundenverhaltens bietet CAMP in jeder Filiale ein anderes, auf die Vorlieben abgestimmtes Produktsortiment an. Außerdem gibt es in jedem Laden interaktive Zonen für wechselnde Events und Freizeit-Aktivitäten für Familien, bei denen das Kundenerlebnis klar im Vordergrund steht. Auch andere Marken können in den Läden gesponserte Bereiche für sich nutzen. Das Ganze natürlich eng verzahnt mit dem Online-Auftritt. Mit diesem Konzept schafft es CAMP bislang sehr erfolgreich, sich gegen Amazon & Co. zu behaupten.

Hierzulande sind laut Adobe jedoch 37 Prozent der Fachleute im Einzelhandel der Ansicht, dass ihr Unternehmen schlecht auf die Umstellung auf eine Welt ohne Cookies vorbereitet ist. 32 Prozent der Befragten geben an, ihre First-Party-Daten nicht effektiv zur Personalisierung des Kundenerlebnisses nutzen zu können.

Zu einem immer wichtiger werdenden Draht zu KundInnen entwickelt sich daher auch für den stationären Handel das Smartphone. Mobile bietet über First-Party-Daten nicht nur mehr Möglichkeiten für Targeting und Personalisierung in Geschäften, sondern kann auch zu einem wirkungsvollen Instrument werden für mehr Interaktionen mit der Marke. So wollen denn auch laut Adobe 37 Prozent der befragten Führungskräfte 2022 vor allem in Mobile-Apps für den Einkauf vor Ort investieren. Kontaktlose Zahlungen (36 Prozent), Social Commerce (35 Prozent) und Selbstbedienungskassen (30 Prozent) sind weitere stark Mobile-gestützte Services, die für 2022 als Investitionsschwerpunkte genannt werden (siehe Grafik).

Chatten mit dem OBI-Experten in der App

Die Baumarktkette OBI   baut die eigene im Sommer 2020 gestartete heyOBI-App   ebenfalls zum wichtigen digitalen Touchpoint für den Kundenkontakt aus. Der DIY-Konzern verabschiedet sich damit auch von den gedruckten Printprospekten, die in Deutschland und Österreich bisher in einer Auflage von rund 11,5 Millionen Exemplaren erschienen sind. Am 22. Juni erschien die letzte nationale Ausgabe, die auf 20 Seiten die Hintergründe für diesen Schritt erklärt. Die Baumarktkette reagiert damit nach eigenen Angaben auf das veränderte Konsum- und Informationsverhalten der VerbraucherInnen und die zunehmende Papierknappheit.

Den Schwerpunkt der Kundenkommunikation bildet stattdessen die individualisierte Ansprache und Beratung über die heyOBI-App - eng verknüpft mit der Expertise in den Märkten. Denn über die App werden die KundInnen direkt mit OBI-Expertinnen und Experten in 350 deutschen Filialen vernetzt - per Chat, Live-Video oder auch direkt im Markt. So können OBI-KundInnen bereits vor dem Baumarktbesuch ihr Projekt in der App auf einer digitalen Pinnwand anlegen, so dass die entsprechend qualifizierten BeraterInnen entweder direkt über die Smartphone-Anwendung Kontakt aufnehmen oder, falls gewünscht, zur Beratung vor Ort zur Verfügung stehen. Außerdem bietet die App ein Markt-Navi, einen Produktscanner, einen Pflegekalender für Balkon, Terrasse und Garten, sowie Inspirationen und Tipps für das nächste eigene DIY-Projekt.

Über die heyOBI-App können sich Baumarktkunden direkt mit Mitarbeitenden in den OBI-Märkten unterhalten - oder einen Beratungstermin ausmachen. (Bild: OBI)
Über die heyOBI-App können sich Baumarktkunden direkt mit Mitarbeitenden in den OBI-Märkten unterhalten - oder einen Beratungstermin ausmachen.


Bisher haben sich mehr als drei Millionen KundInnen für das kostenlose Digitalangebot heyOBI registriert, das sowohl per App als auch über die Webauftritte zugänglich ist. Sie werden dabei mit dem OBI-Markt ihrer Wahl vernetzt. Der direkte Online-Draht zu den MitarbeiterInnen kommt offenbar an. "Dieser Service wurde bisher viele 100.000-mal durchgeführt. Je detaillierter unsere Kunden vorab ihr Projekt in der App oder auf obi.de skizzieren, desto passender ist unsere Beratung leistbar, zum Beispiel sogar unter Zuzug weiterer Experten oder der Vermittlung von Handwerkern vor Ort", erklärt Dr. Christian von Hegel , Managing Director Corporate Marketing bei der OBI Group Holding. "Ebenfalls erhalten unsere Kunden eine individuell zusammengestellte Einkaufsliste und können sich die Produkte im Markt auch per 'reservieren und abholen' zusammenstellen lassen."

Mit der Online-Lösung und einer personalisierten Ansprache will OBI ein durchgängiges und persönliches Kundenerlebnis schaffen und dadurch langfristige Kundenbeziehungen aufbauen. "Wir gestalten aktiv das Kunden-Ökosystem der Zukunft", erklärt von Hegel. "Wir gehen weg von der klassischen Produkt-Preis-Kommunikation und bieten KundInnen einen ganzheitlichen Service: von der digitalen Beratung und Navigation im Markt, bis hin zur Vermittlung professioneller Handwerker und dem direkten Zugang zur Expertise unserer MitarbeiterInnen."

Unser digitales Kunden-Ökosystem hat zum Ziel, unsere Kunden genau dort abzuholen, wo sie Expertise benötigen.
(Dr. Christian von Hegel, Managing Director Corporate Marketing, OBI Group Holding)
Dr. Christian von Hegel, Managing Director Corporate Marketing, OBI Group Holding (Bild: Obi) Bild: Obi

Der Marketingexperte ist überzeugt davon, dass das Bedürfnis nach einer persönlichen und passgenauen Fachberatung in den nächsten Jahren im Baumarktsegment zunehmen wird. "Hier wollen wir uns künftig noch stärker als Ansprechpartner für alle Fragen und Projekte rund um das eigene Zuhause positionieren und so unsere Marktführerschaft weiter ausbauen", so von Hegel. "Unser digitales Kunden-Ökosystem hat zum Ziel, unsere Kunden genau dort abzuholen, wo sie Expertise benötigen. Dabei stellen digitale Services einen wesentlichen Bestandteil dar und verdeutlichen unseren qualitativen Anspruch." Entsprechend arbeitet OBI daran, dass die Plattform "weiterhin technisch state of the art" sein wird. Sie soll in den nächsten Jahren kontinuierlich um weitere technische Features ergänzt werden. "Dank unserer Innovationseinheiten OBI Next und OBI Squared sind wir in der Lage, hier sehr schnell und gut auf Trends und neue Bedürfnisse, gerade auch junger Zielgruppen, reagieren zu können."

Für das Marketing sei diese Weiterentwicklung ein Meilenstein, so Christian von Hegel weiter. "Unser ganzheitliches Serviceangebot wird künftig noch an Bedeutung gewinnen. Es geht uns nicht darum, KundInnen mit Produkten und Rabatten einmalig zu uns in den Baumarkt zu locken. Stattdessen wollen wir mit unseren digitalen DIY-Angeboten bestehende und neue Zielgruppen von der Marke OBI begeistern, sie möglichst schon in jungen Jahren für uns gewinnen um sie mit heyOBI, unserer Vor-Ort-Beratung und nachhaltiger Expertise dauerhaft an uns zu binden."

Scan & Go im Ikea-Möbelhaus

Möbelhändler Ikea   setzt ebenfalls mit einer App auf die digitale Kundenkommunikation. Neben Einkaufslisten, einem Onlineshop und Inspirationen bietet sie auch eine Augmented-Reality-Funktion. Damit können sich NutzerInnen schon vor dem Besuch im Möbelhaus den favorisierten Ikea-Sessel zu Hause im Wohnzimmer anschauen, oder die eigenen Möbel ganz verschwinden lassen, um den Raum virtuell komplett neu einzurichten.

Der neue Ikea-Self Service Scan & Go. (Bild: Inter IKEA Systems B.V.)
Der neue Ikea-Self Service Scan & Go.

Das Einkaufserlebnis vor Ort erleichtern soll auch die 2022 eingeführte Scan & Go-Funktion, die sich für das jeweilige Einrichtungshaus über einen QR-Code am Eingang aktivieren lässt. Beim Gang durch die Ikea-Filiale scannen die NutzerInnen per App ihre Lieblingsprodukte kurzerhand selbst. Auf dem Display erscheint ein Produktfoto inklusive Preis, mit einem Klick wandert das Produkt in den Warenkorb, mit zwei wieder hinaus. An der Kasse lassen sich die Einkäufe bargeldlos bezahlen, ohne dass der Einkaufswagen nochmal ausgeräumt werden muss. Das entstresst und spart lange Wartezeiten. "Verbraucherinnen und Verbraucher leben in einer vernetzten Welt und wollen, dass auch ihr Einkaufserlebnis vernetzt ist. Shop & Go ist ein optimales Beispiel dafür, wie digitale Lösungen das stationäre Einkaufen noch angenehmer machen", sagt Jeremy Drury , Chief Digital Officer bei Ikea Deutschland. Durch Self-Service Angebote verbessere Ikea nicht nur das Kundenerlebnis an der Kasse, sondern gewinne auch wertvolle Zeit für die Kundenberatung. "Das Einkaufsverhalten wird immer digitaler und die Nachfrage nach mobilen Lösungen wächst", sagt Mathias Hördemann , Acting Country Digital Manager bei Ikea Deutschland. "Ob Click & Collect oder Shop & Go, als Omnichannel-Händler schaffen wir mit der nahtlosen Verzahnung aller Kanäle ein noch komfortableres Einkaufserlebnis für unsere KundInnen."

Müller: Checkout-Couponing in Echtzeit

Auf eine mobile Händler-App zur Kundenbindung setzt auch die Drogeriemarktkette Müller   . Zum Service gehört seit September 2021 das Check-out-Couponing, das mit der Technologie von Acardo   nun weiter ausbaut wird - und dadurch "intelligenter und nachhaltiger" werden soll. Herzstück ist eine 'Promotion Engine', die cloudbasiert und in Echtzeit Kassenbons prüft und als Ergebnis warenkorbbasierte Coupons an die jeweiligen Käufer ausgibt. Falls zusätzlich zu den gekauften Produkten auch eine Müller-Kundenkarte erfasst wurde, gibt die Promotion Engine die Coupons direkt in die Müller App des Kunden oder der Kundin aus, so dass dieser für den nächsten Einkauf direkt mobil zur Verfügung steht. Ohne diese Funktion erfolgt das Check-out-Couponing per Druck auf dem Kassenbon. Der Handelspartner stellt dafür die Händler-App und das Kassensystem für die Verteilung zur Verfügung.

"Das mobile Check-out-Couponing ergänzt hervorragend unseren nachhaltigen Anspruch, Kunden ein gelungenes Einkaufserlebnis zu bieten und auch auf nachhaltige Aspekte zu achten, denn so können wir auch deutlich mehr Papierbons einsparen", sagt Dr. Günther Helm , Chief Executive Officer bei Müller.

Digitale Services beleben die Innenstadt

Die digitalisierte Gesellschaft und das Smartphone werden auch den Point of Sale der Zukunft maßgeblich prägen. Mit digitalen Services können ganze Innenstädte ihre Attraktivität steigern, dies zeigt eine weitere Bitkom-Umfrage unter mehr als 1.000 InternetnutzerInnen. Die Mehrheit (61 Prozent) der Befragten wünscht sich eine zentrale Innenstadt-App, die lokale und regionale Angebote von Handel und Dienstleistern bündelt. Jeder Zweite fände eine Anzeige auf dem Smartphone gut, die über die aktuelle Auslastung der Innenstädte informiert. Besonders wichtig ist den meisten Befragten (72 Prozent) jedoch öffentliches WLAN - was dann auch dem Handel zugutekommt.

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