Smarte Shops

Wie die KI zum Top-Verkäufer wird

10.10.2023 - ChatGPT und E-Commerce hat nichts miteinander zu tun? Nur auf den ersten Blick! In Wahrheit können Online-Shops von der KI-Software enorm profitieren.

von Dominik Grollmann

Künstliche Intelligenz und Machine Learning gilt schon seit Jahren als wichtigster Trends überhaupt. Insofern ist der Hype um ChatGPT wenig überraschend. Und umso wichtiger ist die Frage, wie dieser Trend den ECommerce beeinflussen kann. Ändern sich Kaufgewohnheiten, Angebotsformate, Online-Marketing oder ECommerce-Tools? Die Antwort - Vorsicht Spoiler! - in Kurzfassung: ChatGPT hat die KI nicht neu erfunden. In den meisten ECommerce-Tools sind längst entsprechende Funktionen integriert. Aber es gibt einen schmalen Grat, der durch ChatGPT einen wahren Turbo erfährt: Das faszinierende Sprachverständnis erlaubt eine einfache und natürliche Kommunikation zwischen Mensch und Maschine. Damit lässt sich arbeiten.

Wie ChatGPT den E-Commerce verändert


Maschinelle Lernalgorithmen und KI helfen letztlich dabei, Daten zu analysieren und Muster zu erkennen - sie zu "verstehen" - und darauf basierend Entscheidungen vorzuschlagen. Der ECommerce-Klassiker besteht darin, Kaufverhalten vorherzusagen und den KundInnen personalisierte Angebote zu unterbreiten. Etwa, indem eine Recommendation Engine versucht, passende Produkte zu finden oder eine Marketing-Automation-Lösung E-Mails personalisiert. Zum richtigen Zeitpunkt. Mit dem richtigen Produkt. Und der richtigen Ansprache.

Damit das funktioniert, sind Daten notwendig. In hoher Qualität und in großer Quantität. Ob in einer E-Mail ein "Herr Müller" oder eine "Frau Müller" angesprochen wird, können wenige hochwertige CRM-Daten verraten oder kann anhand von Kauf- und Klickhistorie mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit errechnet werden. Am besten ist natürlich die Kombination aus beidem: Viele Daten. Und hochwertige Daten. Das führt zwangsläufig zum besten Ergebnis.

Für Shop-Betreiber ist es aber gar nicht so einfach, an diese Daten zu gelangen. Die gängigen Strategien lauten: Gutscheincode für die Newsletter-Anmeldung; Bonus für die Eröffnung des Kundenkontos; Prämien für die Teilnahme an einem Loyalty-Programm. Damit lässt sich schon viel erreichen: Die Händler Innen verfügen so über korrekte Stammdaten und haben die notwendigen Zustimmungen erhalten, um Kauf- und Klickverhalten zu tracken. Vielleicht konnten sie über eine Auswahl verschiedener Newsletter noch etwas über die Interessen der KundInnen erfahren. Aber ehrlich: Nun wird es zäh. Die wenigsten KundInnen haben ein Interesse mehr Informationen zu teilen. Wozu auch?

Lässt sich nun die Zahl der relevanten Kundeninformationen nur schwer erhöhen, kann man immer noch an der Qualität der verbliebenen arbeiten.

Produktdaten sind der Schlüssel


"Wenn wir wissen, auf welche Produkte unsere Kunden klicken, was sie kaufen, was sie retournieren, können wir etwas sehr wertvolles über unsere Kunden erfahren", erklärt Philipp Göller, Chef der auf KI und E-Commerce-Anwendungen spezialisierten Softwarefirma Paraboost   aus Markgröningen. "Denn hinter jedem Artikel steht ein Bedürfnis, das er befriedigt. Wir können also die Bedürfnisse unsere Kunden verstehen."

Für einen menschlichen Verkäufer mag das trivial sein. Man merkt einem Kunden im Laden schnell an, wie er "tickt". Wer sich beim Kauf eines hochwertigen City-Rads für Komfortfeatures interessiert, wird vielleicht auch auf eine praktische Tasche, bequeme Bekleidung oder einen Airbag-Helm ansprechen. Wer sich eher für unknackbare Schlösser interessiert und sich beklagt, dass ihm nun schon das dritte Fahrrad geklaut wurde, signalisiert eher Interesse an einer Zusatzversicherung. Der sportliche Mountainbiker will dagegen auch eine gute Figur auf seinem Rad abgeben und legt größeren Wert auf Marken, Status und stylische Sonnenbrillen.

Einem Menschen fallen diese Einschätzungen leicht. Ein wenig Einfühlungsvermögen und Menschenkenntnis reichen. Eine Recommendation Engine hat es viel schwerer. Naturgemäß kann sie Menschen und deren Bedürfnisse nicht verstehen. Außerdem redet niemand mit ihr.

So ist die Maschine alleine auf historische Daten angewiesen: Zu Clip-on-Schutzblechen werden häufig Akkulampen geordert. Wer ein Kinderrad kauft, nimmt oft zusätzlich einen Sicherheitswimpel und eine lustige Glocke mit. Bestenfalls kann das System noch Kundendaten (Alter, Geschlecht) und einige Produktdaten (Farbe, Größe, Einsatzzweck) der bereits gekauften Produkte berücksichtigen.

Aber genau hier liegt das Problem: "Die Unternehmen kennen Artikeldaten wie Farbe, Größe, Gewicht - die Standards - recht gut", hat Göller erkannt. "Für die Kaufentscheidung ist es aber viel wichtiger, zu wissen, welchen Nutzen der Artikel stiftet. Und hier fehlen die Daten." Am wenigsten mangelt es dabei an Wissen. Denn dass ein teures Schloss ein großes Sicherheitsbedürfnis befriedigt, weiß im Grunde jeder. Die Information ist nur nicht in der Produktbeschreibung enthalten.

Maslow weiß, was KundInnen wünschen


Diese Überlegung hat Göller auf die Idee gebracht, die fehlenden Informationen durch ChatGPT anreichern zu lassen. Göller hat dazu die Maslow'sche Bedürfnishierarchie gewählt. Dabei handelt es sich um ein sozialpsychologisches Modell des US-amerikanischen Psychologen Abraham Maslow (1908-1970), das auf vereinfachende Art und Weise menschliche Bedürfnisse und Motivationen in einer hierarchischen Struktur beschreibt.

Maslow stellte fest, dass manche Bedürfnisse Priorität vor anderen haben und unsere Handlungen bestimmen. Luft und Wasser sind beispielsweise physiologische Grundbedürfnisse, die wir dringender als alle anderen brauchen. Sind sie jedoch gestillt, treten andere Bedürfnisse in den Vordergrund, die sofort dringender erscheinen (obwohl sie natürlich faktisch weniger wichtig sind). Sprich: Sofern wir Durst haben, werden wir uns vordringlich diesem Bedürfnis widmen und sogar bereit sein, dafür Risiken einzugehen. Zumindest, wenn der Durst sehr groß wird. Ist er jedoch gestillt, treten sofort andere Bedürfnisse in den Vordergrund. Wir werden uns zum Beispiel wieder in Sicherheit bringen.

Maslow unterscheidet fünf wesentliche Bedürfnisse, die hierarchisch geordnet wirken:

  • Physiologische Grundbedürfnisse
  • Sicherheitsbedürfnisse
  • Soziale Bedürfnisse
  • Individualbedürfnisse
  • Selbstverwirklichung

Auch wenn sich die Bedürfnisse überlappen, gibt es in jeder Phase ein Bedürfnis mit der höchsten Intensität. Dieses ist nicht das alleinige, aber in diesem Moment das vorherrschende Motiv unseres Handelns. Und: Je nach Bedürfnislage sind auch verschiedene Produkte oder Varianten gefragt.

Entscheidender Einfluss auf die CLV


Zunächst geht es also darum, die Bedürfnislage zu erkennen, um dann die richtigen Schlüsse zu ziehen. Dazu hat Paraboost den kompletten Produktkatalog eines Online-Shops von ChatGPT danach bewerten lassen, welche Bedürfnisse aus der Maslow'schen Hierarchie die einzelnen Artikel befriedigen. Daraus lässt sich ablesen, in welcher Phase sich der Kaufende befindet. Etwa: Steht beim Sicherheitswimpel für das Kinderfahrrad eher der Aspekt "Sicherheit" (reflektierende Signalfarbe) oder der Aspekt "Individualisierung" ("Lillifee"-Motiv) im Vordergrund?

"Aber mit dieser Information lässt sich weit mehr anfangen, als nur die Produktempfehlung zu verbessern", weiß Paraboost-Chef Göller. Von entscheidender Bedeutung ist es im Marketing, die Bestandskunden klug zu segmentieren. Nicht nur, um die Ansprache des Werbemittels zu verbessern, sondern auch, um das Werbebudget optimal einzusetzen: "Wir haben festgestellt, dass die Maslow'schen Bedürfniskategorien zu den Top-Variablen zur Errechnung der Customer Lifetime Value gehören", sagt Göller. Das zukünftige Käuferverhalten und die Kaufwahrscheinlichkeit lässt sich anhand der Bedürfnisphasen präzisieren, weil sich die Persönlichkeitsentwicklung auch im Kaufverhalten widerspiegelt.

Und auch zu Personalisierungzwecken lässt sich Künstliche Intelligenz hervorragend einsetzen. Während Newsletter an die EmpfängerInnen angepasst sind, endet dies meist bei der Produktbeschreibung im Shop. Der Aufwand wäre einfach zu hoch, für Tausende von Artikeln mehrere Text-Varianten zu schreiben und vorzuhalten. Mit ChatGPT ist das möglich. "Wir nutzen die Maschine, um conversionstarke Produkttexte automatisiert zu erzeugen", verrät Göller. "Die KI fasst die vorhandenen Texte zusammen und generiert daraus Beschreibungen mit Tagline, hervorgehobenen Selling Points und verkaufsstarker Botschaft."

Für die Maschine ist es aber auch kein Problem, Verkaufsargumente und sprachlichen Stil an eine männliche und weibliche Zielgruppe, ein älteres oder jüngeres Publikum anzupassen. Und selbst die Maslow'schen Bedürfnisse können berücksichtigt werden - zumindest in einer standardisierten Form, um die Variantenvielfalt nicht explodieren zu lassen.

Denn gerade zu Anfang ist es wichtig, den Überblick zu behalten. Das Prompting, also die Bedienung einer generischen KI will durchaus gelernt sein. "Es lohnt, damit zu spielen und sich an die richtigen Einstellungen heranzutasten", sagt Göller. Zu viel "Temperatur" sorgt für übertrieben schräge Texte, zu wenig für sehr trockene Ergebnisse. Man kann ChatGPT zudem mit verschiedenen Anreizen zu besseren Ergebnissen bringen. "ChatGPT mag gerne spielerische Herausforderungen", hat Göller festgestellt.

Auf jeden Fall sollte man sich zunächst mit einer gewissen Vorsicht herantasten. Denn: Für das, was in der Produktbeschreibung steht, haftet in jedem Fall der Händler. Egal, wer den Text geschrieben hat.

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