Patrick Palombo: "E-Commerce ist Versandhandel per se&#8220

20.05.1999 - ONEtoONE-Interview mit Patrick Palombo, Vizepräsident E-Commerce und Neue Medien beim Deutschen Direktmarketing Verband

ONEtoONE: Mit Electronic Commerce ist es wie mit dem Aktienkauf: Viele reden darüber, einige beteiligen sich, wenige verdienen daran. Woran liegt's?
Patrick Palombo: Erst mal ist es erstaunlich, daß man erst heute über E-Commerce redet. Große Versandhäuser wie Quelle haben das Thema bereits 1979 (!) entdeckt. Man kann über das gute alte Btx sagen, was man will, es war jedoch das erste interaktive elektronische System für jedermann, das es dem Kunden ermöglichte, seine Bestellungen bequem von zu Hause aus zu tätigen. Natürlich war es noch nicht multimedial, sondern eher textlastig, für die reine Bestellung von Waren und Dienstleistungen aber absolut zweckmäßig.
Mit dem Geldverdienen im Web ist es so eine Sache. Erst mal sollte man den Begriff "verdienen" definieren. Geht es dabei nur darum, Waren einzukaufen, sie im Internet nett darzustellen und dann auf einen Käufer zu warten, der Umsatz generiert, werden einige Anbieter noch lange warten müssen. Erst recht, wenn sie den überwiegenden Teil einer Prozeßkette wie zum Beispiel Logistik und Customer Care neu und damit kostenintensiv installieren müssen. Erfolg im und durch das Web könnte auch anders definiert werden. Zuerst kommt man an der Imagekomponente einer Web-Präsenz nicht mehr vorbei, und zwar weniger wegen der Tatsache, im Internet präsent zu sein, als wegen des Negativeffekts, nicht darin zu sein.Wenn dieses noch ein "Softfact" ist, so ist ein meßbarer Erfolg sicherlich die Kostensubstitution, die durch das Internet möglich ist. Jeder in der Direktmarketing-Szene kennt die Kosten und Folgekosten eines Telefonauftrages. Gelingt es mir, den manuellen Aufwand der Auftragserfassung an das sogenannte "Frontend" des Kunden zu verlagern und Aufträge gleich in zentrale Auftragssysteme einzuspielen, habe ich einen weiteren Erfolgsfaktor.
Zusammengefaßt ist E-Commerce sicherlich einer der zur Zeit am meisten ge-/mißbrauchten Begriffe. An einer Tatsache kommt man aber nicht vorbei: E-Commerce ist Versandhandel per se. Und wer diesen nicht fundiert kennt, sollte die Finger davon lassen. Und das gilt sowohl für Händler als auch für umsetzende Internet-Agenturen.
OtO: Welche Voraussetzungen sind für ein profitables E-Commerce unabdingbar?
Palombo: Man muß genau hinsehen, wer denn heute ein profitables Geschäft im Web macht. Davon gibt es nicht allzu viele, und die lassen sich vielleicht in drei Kategorien packen:
1. Die "First mover", die es geschafft haben, mit einem banalen und doch genialen Geschäftssystem eine Marke aufzubauen, siehe die Amazons & Co. dieser Welt. Jeder, der danach mit denselben Kerninhalten kam und immer noch kommt, kann nur noch "second practice" beziehungsweise "me too" sein. Dennoch sind neue Geschäftsideen, die spezifisch auf das Internet abgestimmt sind, heute noch machbar und der Garant für märchenhafte Erfolgsgeschichten, die das Internet zum Mythos gemacht haben.
2. Vermarkter von Web-affinen Produkten haben ebenfalls eine ideale Ausgangssituation. Alles, was einen hohen Aktualitätsbezug hat, was leicht verderblich im technischen Fortschritt und/oder im Preisverfall ist, ist für das Internet prädestiniert. Kommt dazu noch eine "Built-to-order"- und "Customized"-Komponente, so stehen wir quasi vor einem idealen Internet-Geschäftsmodell. Bestes Beispiel hierfür sind sicherlich Hard- und Software-Händler, also die "Dells" dieser Welt.
3. Diejenigen, die eine ausgezeichnete Pole-position für den Internet-Handel haben, sind sicherlich die Versender, die wie Quelle das Geschäft seit über 70 Jahren betreiben. Natürlich darf man auf keinen Fall im Web eine Katalogwelt nachbauen. Dennoch protzen einige mit Slogans wie "... der komplette Katalog im Internet ...". Statt dessen würde eine medien- und zielgruppenadäquate Umsetzung sowohl der Sache als auch dem Kunden dienen. Dennoch ist trotz dieser Rückfälle in verstaubte Traditionen die Ausgangslage immer noch gut, denn der gesamte Versandhandelsprozeß, der im Internet genauso zum Tragen kommt, ist bereits installiert. Dinge wie Beschaffung, Direktmarketing, Datawarehouse, Logistik und After-sale/Customer Service etc. müssen nicht mit viel Zeit, Geld und Menschen neu erfunden werden, sondern funktionieren mit hoher Präzision bereits seit Jahrzehnten. E-Commerce ist Versandhandel pur, nur unter Rücksichtnahme auf die entsprechende Zielgruppe, in einer neuen Kommunikationsqualität, und untersteht dem gnadenlosen Diktat schnellerer Taktraten und kürzerer Halbwertszeiten.
Wenn es so etwas wie einen zusammenfassenden Garanten für den Internet-Erfolg gibt, so ist dies sicherlich die Stärke einer Dachmarke. Je größer der Bekanntheitsgrad und das Vertrauen in diese Marke, um so kleiner ist der Erklärungsbedarf gegenüber einem potentiellen Kunden, warum man legitimiert ist, Kompetenz im E-Commerce zu beanspruchen. Wenn aber die Marke erst noch aufgebaut werden muß, werden notwendige Maßnahmen und Ressourcen dafür noch sehr oft unterschätzt. Die Durststrecke kann sehr lang werden.
OtO: Können mit E-Commerce tatsächlich zusätzliche Kunden gewonnen werden, oder handelt es sich lediglich um eine Verschiebung des Kundenpotentials hin zu einem neuen Medium?
Palombo: Letzteres bedeutet keinen Beinbruch, denn Kannibalismus ist ja grundsätzlich nichts Schlechtes. Es wird dabei ja mindestens einer satt. Daher ist Substitution grundsätzlich erst mal etwas Positives. Interessanterweise werden im Web auch sehr viele (Neu-)Kunden angesprochen, die bis dahin über traditionelle Kommunikationswege, sprich Kataloge, nie den Weg zum Anbieter gefunden haben. Aufhänger dabei ist sicherlich die zielgruppen- und medienadäquate Ansprache. Wenn Konsumenten vorrangig bei ihrem Bedarf/Bedürfnis gepackt werden und sie dann auch noch eine bekannte und/oder vertrauenerweckende Marke vorfinden, so sind sie eher bereit, Vorurteile gegenüber dem Distanzhandel abzulegen.
OtO: Inwieweit wird One-to-one-Marketing heute schon von deutschen E-Commerce-Anbietern umgesetzt?
Palombo: So gut wie gar nicht. Das hat sowohl technische als auch rechtliche Gründe. Zwar bieten sehr viele Softwareschmieden technische Tools für One-to-one-Angebote an. Dennoch wird sehr schnell dabei vergessen, daß Werkzeuge genauso gut und genauso schlecht funktionieren wie die vorhandene oder nichtvorhandene Datenbasis, das Datawarehouse. Und fehlt dazu auch noch dazwischen ein Datamining, um vorhandene Daten komprimiert herauszuziehen, zu analysieren und zu verwerten, ist jeder Ansatz für One-to-one absurd. Was die Legislative angeht, so ist Deutschland sicherlich für den Verbraucher eine Insel der Glückseligkeit. Dies ist in doppelter Hinsicht gefährlich.
Durch dieses Sich-in-Sicherheit-Wägen entsteht der Eindruck, daß es auf der ganzen Welt so geregelt zugeht, und das ist definitiv nicht der Fall. Bedenklich ist ebenfalls der verzerrte Wettbewerb. Während nationale Unternehmen nur unter größten Auflagen dem Kunden profiladäquate Angebote machen dürfen, werden ausländische Unternehmen, vorwiegend aus Übersee, ihre Angebote mehr und mehr auf aufgezeichnete Profile abstimmen. Hier ist eine weltweite Harmonisierung absolut erstrebenswert.
OtO: Welche Konsequenzen hat der Handel im Net für die Dialogmarketing-Branche?
Palombo: Nicht Revolution, sondern Evolution ist gefragt. Konzepte müssen subtiler auf den einzelnen, das Individuum, abgestimmt werden. Es gibt nicht mehr die Kunden, die nach dem Gießkannenprinzip bedient werden und die periodisch ein Angebot per Papier bekommen. Statt dessen gibt es den Kunden, der selbst die Initiative ergreift und selbst seine Wünsche proaktiv definiert. One-to-one heißt ja auch, mit Einverständnis des Kunden den Versuch zu unternehmen, auf seine individuellen Wünsche einzugehen. Der Dialog ist nun ein echter 4-Augen-Dialog, von intelligenter Technik unterstützt, aber immer noch und immer wieder von Menschen konzipiert.

Patrick Palombo ist Vizepräsident E-Commerce und Neue Medien beim Deutschen Direktmarketing Verband

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