26.03.2004 - Interview mit Wissenschaftler Professor Haller über die Vertriebspläne von Springer & Co.
Ein Verleger-Konsortium rund um Springer und Gruner + Jahr will undementierten Medienberichten zufolge beim Vertrieb seiner Zeitungen und Zeitschriften auf die Deutsche Post verzichten. ONEtoONE befragte den Journalistik-Professor und Presse-Grosso-Experten Prof. Dr. Michael Haller zu den Realisierungschancen, Hintergründen und gesellschaftlichen Folgen dieses Vertriebsmodells.
ONEtoONE: Ist dieses Szenario realistisch oder spielen die Verlage nur mit ihren Muskeln?
Michael Haller: Wenn irgendjemand im Print- oder Pressebereich das kann, dann der Springer-Verlag. Er hat das am weitesten ausgebaute eigene Verteilersystem, das sehr leistungsstark ist und eine hohe Reichweite hat. Zudem kann Springer über das Grosso-System auf ein relativ dichtes Einzelhandelsnetzwerk zugreifen, was der Bild-Zeitung zu verdanken ist. Von den 114.000 Points-of-Sale in Deutschland werden bis zu 90.000 mit Bild versorgt. Das sind alles Values, an denen man sieht, dass bei Springer eine erhebliche Power dahinter steckt. Es ist also nicht nur ein Muskelspiel. Wenn die Springer-Manager durchblicken lassen, dass sie es notfalls selbst machen, dann tun sie das nicht aus Jux und Dollerei, sondern weil sie es auch könnten! OtO: Ist das Ganze eine Racheaktion für das Prospektvertriebsmodell Einkauf Aktuell, mit dem die Deutsche Post zurzeit die Verleger ärgert, oder kommt die Diskussion eher zufällig auf?
Haller: Wir leben hier in der Welt des harten Business. Da gibt es keine zwischenmenschliche Gefühle wie Rache, sondern es wird knallhart kalkuliert und versucht, die Preise zu drücken. Dafür sind die Springer-Leute bekannt. Sie rechnen durch, was ein eigenes Vertriebssystem kosten würde und lassen das dann auch durchsickern, damit der Verhandlungspartner nicht meint, aus einer Position der Unverzichtbarkeit heraus verhandeln zu können. Das ist völlig normal in einer freien Marktwirtschaft.
OtO: Steuern wir in der Folge auf einen Krieg der Verlage gegen die Post zu? Was könnte die nächste Eskalationsstufe sein? Bringt die Post bald eigene Zeitschriften heraus, die sie kostenlos und zielgruppengerecht an Haushalte verteilt?
Haller: Ich glaube eher nicht. Die Post sollte keine weiteren Baustellen aufmachen, auf denen sie Geld verliert. Zudem sind der Post sehr enge Grenzen gesetzt. Eine Kundenzeitschrift ist das eine, eine Publikumszeitschrift das andere. Für die Post sind Kundenzeitschriften relativ leicht zu distribuieren, weil sie noch ein relativ ausgebautes Filialnetz hat. Aber in dem Augenblick, in dem die Post ihren normalen Briefvertrieb auch für eigene publizistische Medien nutzt, kommt sie in Teufels Küche. Das ist sowohl kartellrechtlich als auch grundrechtlich ein Problem. Da müssten Neutralitätsbarrieren eingebaut werden, die verhindern, dass eine Wettbewerbsverzerrung entsteht oder sich monopolistische Strukturen entwickeln.
OtO:Wäre ein privater Vertrieb überhaupt so leicht durchführbar? Ich denke da an Probleme wie jenes, dass die Verteiler bei Wohnhäusern einen Haustürschlüssel brauchen, um an die Briefkästen zu kommen.
Haller: In den Großstädten hat der Springer-Verlag so ein Vertriebsnetz schon. Die Zeitungshaushalte könnte man dort als Standbein nutzen, das man weiter entwickelt und ausbaut. Außerdem muss Springer nicht alles allein machen. Der Konzern hat viele Subunternehmer in Ballungsgebieten wie Berlin und Hamburg. In Hamburg verfügt der Verlag zum Beispiel über ein sehr dichtes Vertriebsnetz, unter anderem durch die vielen Anzeigenblätter, die Springer gehören. Dieses Vertriebssystem wird meist von Unternehmen bedient, die mit Hilfe billiger Kräfte ein Preis-Dumping betreiben. Das kann sich die Post nicht erlauben. Sie hat arbeitsrechtlich und beschäftigungspolitisch gesehen ein sehr solides System, das aber auch teuer ist. Insofern kann die Post mit den Preisen der meisten Subunternehmer nicht mithalten.
OtO: Aber wahrscheinlich wird Springer diese Strategie nur in Ballungsgebieten verfolgen ...
Haller: Das ist richtig. Und da sind wir bei dem Problem der Grundversorgung. Immer wenn es um Güter geht, an deren Distribution ein Gemeinwohlinteresse besteht, wie zum Beispiel beim Briefsystem, muss die fragliche Einrichtung auch die Grundversorgung gewährleisten. Und das bedeutet immer auch eine Querfinanzierung. Das heißt: Dicht besiedelte Räume, die relativ kostengünstig beliefert werden können, finanzieren indirekt die dünn besiedelten Gebiete mit. Das ist der Hebel, an dem Großunternehmen wie Springer oder Gruner + Jahr ansetzen und sagen: "Wir haben keine Lust, bei dieser Quersubventionierung mitzumachen!"
Das Gleiche kennen wir vom Vertriebssystem der Presse: Das Grosso-System ist zwar sehr leistungsstark und effizient, aber auch nicht das billigste, weil es eine Ausstattung mit Printprodukten am Point-of-Sale flächendeckend garantiert. Und dann kommen eben Springer, Bauer oder Burda und sagen: "Wir wollen, dass eure Handelsspanne kleiner wird. Ihr verdient doch so viel an uns!" Dabei ziehen die Verlage als Kalkulationsbasis nur die Grossisten heran, an denen sie selbst beteiligt sind und die sich in Großstädten befinden. Allgemeiner gesagt: Das Gemeinwohldenken geht verloren. Es gehörte zu den besonderen Errungenschaften in Europa, dass das Gemeinwohldenken auch in den Wirtschaftsunternehmen verbreitet war. Inzwischen schwindet dieses Denken gerade im Medienbereich mehr und mehr. Das ist eine fatale Form der Amerikanisierung - vom Stakeholder-Value zum Shareholder-Value. Diese Unternehmer überlegen nur noch: Wie kann ich eine Profitmaximierung schaffen? brö
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