29.11.2005 - Kundenbindung ist wieder im Fokus, doch es bleibt noch viel zu tun
Tante Emma vom gleichnamigen Laden an der Ecke hatte sie noch drauf: die Kundenbindung. Egal wer den Laden betrat, Tante Emma wusste sofort, was der Kunde schätzte: welches Produkt, in welchem Umfang und wann es benötigt wurde. Auch auf Änderungen in der Lebenswelt ihrer Käufer war sie vorbereitet. Nachdem der Bauch von Frau Schmitz Monat um Monat gewachsen war, hatte sie rechtzeitig Babynahrung und Windeln in ihr Sortiment mitaufgenommen, und Jahre später, als das Kind seinen sechsten Geburtstag feierte, war klar, es benötigte bald Hefte und Stifte, denn der Schulanfang nahte. Kurzum: Tante Emma ist das Vorbild eines jeden Unternehmens, das sich heute unter zum Teil beträchtlichem Aufwand und bei hohen Ausgaben bemüht, Kundenbindung zu betreiben. So sieht es jedenfalls Elmo Hagendorf, der ab Januar die Geschäftsführung von Experian Deutschland übernimmt.
"Das Kundenwissen, das Tante Emma noch hatte, ist im Rahmen der Globalisierung verloren gegangen", so Hagendorf, der in der Vergangenheit unter anderem das Bonusprogramm Payback maßgeblich mitgestaltete. "Doch CRM bedeutet im Grunde nichts anderes, als den Kunden ganzheitlich zu verstehen, wie Tante Emma es tat." Es sei eine Herausforderung für jedes Unternehmen, seine Software so zu nutzen, dass es die Lebenssituation des Kunden erkennen kann und dementsprechend agiert.
CRM ist mehr als IT und Software
Das Kundenbeziehungsmanagement ist somit viel mehr als Software und IT, wie es in den Köpfen einiger Unternehmer immer noch herumspukt. "Der Begriff CRM wird häufig auf seine technologische Komponente reduziert, also mit CRM-Systemen gleichgesetzt, deren Aufgabe in der Sammlung und Auswertung von Kundendaten sowie in der Automatisierung kundenbezogener Prozesse liegt", erklärt Prof. Dr. Klaus D. Wilde vom Lehrstuhl Wirtschaftsinformatik der Universität Eichstätt-Ingolstadt. Doch genau das birgt die Gefahr, dass die notwendigen Rahmenbedingungen im Unternehmen nicht beachtet werden. Nachdem vor einigen Jahren das Schlagwort CRM in aller Munde war, haben viele Firmen blindlings zu erheblichen Kosten eine Software gekauft und erst im Nachhinein überlegt, ob man damit überhaupt etwas anfangen könne. Ob sie überhaupt für die eigenen Bedürfnisse geeignet war, stand dabei nicht zur Debatte, und als der gewünschte Erfolg verständlicherweise ausblieb, wurde CRM von weiten Teilen für tot erklärt.
Sandro Götz, Leiter Kundenmanagement der Loyalty Partner GmbH, sieht nun eine Trendwende und ist überzeugt, dass CRM wieder stärker in den Fokus rücken wird. Dies liege vor allem daran, dass die Unternehmen langsam beginnen, CRM nicht nur als IT-Thema zu sehen, sondern auch erkennen, dass sie die Möglichkeiten, die ihnen die Technik bietet, besser nutzen müssen und können. "Wir erleben da gerade eine Bewusstseinsänderung, die sich in den nächsten Jahren weiter fortsetzen wird", so Götz. Seines Erachtens wird künftig die konzeptionelle Seite stärker in den Vordergrund rücken und der Frage "Wie generiere ich aus meinen Daten Kundenwissen, und wie setze ich dieses Kundenwissen um?" nachgehen. Davon würden zwar auch die IT-Hersteller profitieren, aber vor allem werde der Bedarf nach spezialisierter Beratung in den Bereichen CRM-Strategie und Prozessoptimierung steigen.
Stagnation geht zu Ende
Auch aus der aktuellen CRM-Studie der Universität Eichstätt-Ingolstadt geht hervor, dass die mehr als drei Jahre währende Stagnation am CRM-Markt 2005 zu Ende gehen könnte. 51 Prozent der in der Studie vertretenen Software-Anbieter erwarten einen wachsenden CRM-Markt, lediglich drei Prozent sagen einen schrumpfenden Markt voraus.
Hagendorf sieht dies in einem Umdenken der Unternehmen begründet. "Die Hoheit über das CRM ist mittlerweile von der IT-Abteilung in den Marketing- und Vertriebsbereich gewechselt. In vielen Firmen wurde CRM gar zur Chefsache erklärt und obliegt nun dem Vorstand." Diesen Trend belegt auch die Studie "CRM Barometer 2005" der Unternehmensberatung Capgemini. Demnach kümmert sich in etwa jedem zweiten Unternehmen bereits mindestens ein Mitarbeiter ausschließlich um CRM, bei etwa 40 Prozent der befragten Firmen ist die Geschäftsleitung involviert. Zudem investieren 83 Prozent der Befragten - 107 Marketing-Entscheider großer Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz - gleichbleibend oder mehr als im Vorjahr in Management und Analyse ihrer Kundenbeziehungen (siehe ONEtoONE 09/2005).
Drei Schritte zum Erfolg
So hat beispielsweise debitel einen eigenen Kundenvorstand, der auch das CRM des Unternehmens verantwortet. Für sein Engagement heimste der Mobilfunkbetreiber im letzten Jahr beim CRM Best Practice Award in der Kategorie Business-to-Consumer Gold ein. Vor diesem Hintergrund überrascht auch die Aussage von Kerstin Köder, Leiterin Segmentmanagement Privatkunden der debitel AG, nicht: "Systematisches CRM ist keine Frage der Mode, sondern eine Frage des Überlebens."
Doch wie hat systematische CRM auszusehen? Hagendorf zählt drei Schritte auf: Am Anfang steht die Kundenstrategie, die natürlich zur Unternehmensstrategie passen muss. Darauf folgt die Konzeptionsphase, in der die Strategie zum Leben erweckt werden soll. In einem Maßnahmenplan ist zu bestimmen, welches CRM-System zum Unternehmen passt. Und im dritten Schritt erfolgt die Operationalisierung, die allein oder mit Hilfe eines Anbieters vorgenommen wird. "Ganz wichtig sind dabei die internen Kommunikationskanäle", betont Hagendorf. "Alle Maßnahmen, die auf den Kunden ausgerichtet sind, müssen aufeinander abgestimmt sein." Ein Punkt, den auch Georg Blum, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Commundia GmbH und Vorsitzender des CRM Councils im Deutschen Direktmarketing Verband (DDV), hervorhebt: "Was nicht funktioniert, ist im Kundenservice und Marketing CRM einzuführen und im Vertrieb oder im Einkauf nicht einzufordern nach dem Motto `Wasch mir meinen Pelz, aber mach mich nicht nass`." Zum Glück heiße es jetzt schon bei vielen Firmen, "Kundenmanagement in der Organisation abzubilden".
Einen Schritt, den die Unternehmer zunehmend beherzigen. Das zeigt auch das Unternehmen Imparat, das beim diesjährigen CRM-Best Prac-tice Award ausgezeichnet wurde (siehe Seite 8).
Dr. Wolfgang Martin, Vorsitzender des IIR-Fachforums Customer und Vorsitzender des Fachbeirates der CRM-expo, bezeichnet "Multikanal-Management" gar als "Dauerbrenner" unter den Trends im CRM-Bereich. Unternehmen müssten den Kunden in der gleichen Sprache über verschiedene Kanäle angehen. "Dieses Thema beschäftigt die Unternehmen derzeit ungemein. Was viele dabei aber noch unterschätzen, ist die Idee der `Echtzeit`: Im selben Moment, in dem der Kunde unseren Service wünscht, müssen wir alle Informationen über ihn parat haben. Denn nur wenn wir den Kunden kennen und wissen, wer er ist und wie er tickt, können wir unsere Services nach ihm ausrichten und ihn richtig ansprechen."
Kein CRM ohne die Mitarbeiter
Doch auch Martin ist der Meinung, dass erfolgreiche Kundenbindung nur dann funktionieren kann, wenn die Mitarbeiter ins Boot geholt werden und Marketing und Vertrieb keine getrennten Einheiten sind. Als große Herausforderung der Branche nennt Martin die Ausweitung des CRM-Prinzips auf alle Geschäftsparteien: Lieferanten, Händler, Partner und Mitarbeiter.
Dem schließt sich auch Ralf Korb an. "Es ist ungemein wichtig, den Vertrieb und die Servicemitarbeiter zu unterstützen. Die gesamte Organisation muss erfolgreich auf Kunden eingestimmt werden, also sollte man auch nicht daran sparen, einen Coach einzusetzen", so der Research Director der Hewson Group und stellvertretende Vorsitzende des DDV-Councils CRM.
"CRM - Was Mitarbeiter wirklich umsetzen" lautete auch das zentrale Thema des CRM-Expertenrats, der pünktlich zur CRM-expo Mitte November die Ergebnisse seiner Befragung von 130 Mitarbeitern aus Vertrieb, Marketing und Service vorstellte. "Handy-Akkus sind nachtragend. Werden sie nicht voll aufgeladen, dann gewöhnen sie sich an niedrigere Ladungszustände ("Memory"-Effekt). Das Gleiche gilt für die Energien von Vertriebsorganisationen", heißt es in der Studie. Entsprechend fordert der Expertenrat Konsequenz und Kontinuität, um eine CRM-Einführung zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. "Diesen langen Atem zu haben und auch durchzuhalten, wenn sich die Quick wins nicht sogleich einstellen, das kann man den CRM-Verantwortlichen raten", wird in der Studie zusammengefasst. Als Resümee notieren die Verfasser: "Mitarbeiter sind die wichtigsten Erfolgsfaktoren für eine erfolgreiche Marktbearbeitung. Sie sind auch die treibenden Kräfte im CRM-Spiel, denn ohne sie bleiben die Computerbildschirme dunkel. CRM fängt beim Mitarbeiter an."
Doch eine größere Beachtung der eigenen Mitarbeiter ist nicht die einzige Herausforderung, der sich die Unternehmen stellen müssen. "Aus meiner Sicht sind es vor allem zwei Themen, die den CRM-Markt in den kommenden Jahren stark beeinflussen werden", fasst Sandro Götz zusammen: "Die dramatische Veränderung im Bereich der Kommunikationskanäle - Mobile Devices etc. - sowie die drohende Reizüberflutung des Konsumenten." Er ist überzeugt, dass "mittelfristig nur jene Unternehmen im Markt bestehen werden, die in der Lage sind, ihren Kunden für sie relevante Angebote über die dann relevanten Kanäle unterbreiten zu können".
CRM ohne C
"Vielfach wird dem zentralen Punkt eines CRM-Projekts zu wenig Beachtung eingeräumt, in dem davon ausgegangen wird, dass jeder Kunde nur darauf wartet, eine enge, langfristige und für das Unternehmen gewinnbringende Geschäftsbeziehung zu pflegen", sagt Klaus D. Wilde. "Hinzu kommt, dass der letztendlich angestrebte monetäre Erfolg meist erst mittel- oder langfristig zu beobachten ist. Deshalb setzen viele Unternehmen lieber auf Neukundengewinnung statt auf langfristige Bindung bestehender Kunden, um kurzfristige Unternehmensziele erreichen zu können." So generieren viele Unternehmen zwar Kundendaten, nutzen sie aber nicht. Wenn CRM ohne C verstanden wird, also CRM-Methoden, -Prozesse und -Systeme vor allem dazu eingesetzt werden, um Kosten zu senken, kann es mit der Kundenbindung nicht funktionieren.
Kein Wunder, dass sich auch Profis aus dem CRM-Bereich als Endverbraucher "bis zum Stillstand der Pupillen" (Ralf Korb) und "fast täglich" (Sandro Götz) über mangelnde Kundenbindung im Alltag ärgern.
"Ich bin immer wieder verwundert, wie ungeschickt sich selbst Weltmarktführer anstellen", so Rainer Wiedmann, der seit November die Beratungsagentur Mediaplus CRM consulting der Agenturgruppe Serviceplan aufbaut (siehe Seite 16). "So bin ich zum Beispiel schon immer Platin-Kunde von Vodafone und habe auch schon einmal einen Rucksack einfach so geschenkt bekommen. Ansonsten erhalte ich aber nur Spam-Mails über diverse Aktionen, die ich nicht abstellen kann."
Wiedmann steht mit seiner Meinung nicht allein da. "Es gibt immer wieder Unternehmen, die noch nicht begriffen haben, dass das zweite Gerät über den Kundendienst verkauft wird", resümiert Frank Naujoks, Senior Consultant IDC Central Europe. "Ärgerlich ist es auch, wenn Präferenzen bei Online-Verkäufen nicht gespeichert werden und jedesmal aufs Neue eingegeben werden muss, ob man am Gang sitzen mag oder am Fenster oder ob ein Raucherzimmer oder ein Nichtraucherzimmer bevorzugt wird." Dass manchmal der Eindruck entsteht, dass in einem Unternehmen die rechte Hand nicht weiß, was die linke macht, konnte auch Elmo Hagendorf am eigenen Leib erfahren: "Ich habe einmal ein Auto bei Audi geleased und gleich vier Ansprechpartner genannt bekommen: den Händler vor Ort, die Bank, die Versicherung und die Audi-Leasing-Abteilung. Als es dann zu einem Schadenfall kam, reichte es nicht, an einen zu berichten. Ich sollte jedem Einzelnen die Sachlage schildern."
Über mangelnde interne Vernetzung klagt auch Dr. Martin: "Als die Stromversorgung meines Laptops ausgefallen war, stufte die Firma Dell das Problem in der Rubrik `Zubehör` und damit unter `nicht wichtig, keine Priorität` ein. Der Beschwerdekanal und der Call-Center-Kanal sind bei dem Unternehmen getrennt", erklärt er. "Hier merkte ich am eigenen Leib, wie wichtig Multikanalmanagement ist." Die Folge: Martin schaffte den Laptop ab. Sebastian Dierks, Geschäftsführer von Salery Loyalty & Trade Marketing, reicht dafür schon zu viel ungefragte Werbung. "Ich ärgere mich, wenn ich mit Werbung zugemüllt werde, weil die Kundenbindung nicht ausreichend funktioniert. Ebenso schaffen Unternehmen es immer wieder, ungewollte Newsletter zu versenden, weil sie mal mit mir in Kontakt standen. Über solche Spam-Mails ärgere ich mich und ziehe meist die Konsequenzen daraus."
Dass gute Kundenbindung ohne viel Aufwand möglich ist, weiß Martin Nitsche, Chief Executive Officer Proximity Deutschland. "Mein Schuster beispielsweise hat keinen Computer, aber einen Ordner mit den Bestellungen seiner Kunden für` Mass-Custom-ized`-Maßschuhe. Der kennt mich, wenn ich hereinkomme, er ruft mich an, wenn er neue Modelle hat. Kurz: Er macht (nahezu) perfektes CRM ohne IT." Was lehrt dieses Beispiel? Das wahre Vorbild für gute Kundenbindung ist immer noch der Schuster an der Ecke - oder halt Tante Emma. af
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