Der stationäre Handel muss angesichts des Booms im Onlinehandel um jeden Kunden und jede Kundin kämpfen. Auch nach dem Ende der Pandemie wird er entlang der Customer Journey nach neuen Konzepten suchen müssen, um für die Kundschaft weiterhin relevant zu sein (vgl. iBusiness-Analysen: Handelszukunft - Wie die digitale Aufholjagd des Präsenzhandels wirklich aussieht
und Handelsservices - Wie der stationäre Handel digital aufholt
).
Welchen Beitrag digitale Kundenkarten und Instore Navigation dabei leisten können, um einen digitalen Dialog mit den KundInnen vor Ort aufzubauen, ihnen die Produktsuche zu erleichtern und strategisch wichtige Einsichten für das eigene Geschäftsmodell zu gewinnen, zeigt eine Expertenbefragung der PFH Private Hochschule Göttingen
. Der Fragebogen wurde im März und April 2021 an 147 ExpertInnen aus dem Einzelhandel versendet, 66 Personen nahmen an der Umfrage teil. Die Erhebung ist damit nicht repräsentativ, Trends lassen sich daraus jedoch ablesen.
Chancen werden nicht genutzt
"Nicht erst seit der Diskussion um Corona-Apps zur Nachverfolgung des Infektionsgeschehens spielt die Digitalisierung des stationären Einzelhandels eine Rolle", sagt Hans-Christian Riekhof
, Professor für Internationales Marketing an der PFH und einer der Autoren der Studie. Knapp die Hälfte (46 Prozent) der von den Forschern befragten Unternehmen haben bereits digitale Kundenkarten umgesetzt, weitere 11 Prozent planen sie. Den meisten Unternehmen geht es damit vorrangig darum, das Einkaufserlebnis angenehmer zu gestalten.
"Location-Based Marketing und -couponing, Kundenbefragungen direkt am Ort des Geschehens und ähnliche Funktionen, die digitale Kundenkarten auch bieten, scheinen aus Sicht der befragten Manager demgegenüber eine nachrangige Rolle zu spielen", sagt Riekhof.
Lediglich rund ein Viertel (26 Prozent) sehen in Kundenbefragungen über die App oder Produktsuche im Markt und Turn by Turn-Navigation zum gesuchten Produkt (24 Prozent) mögliche Funktionen der digitalen Kundenkarten. Die Location-basierte Zusendung von Coupons direkt am Regal in der Filiale ziehen dagegen nur 8 Prozent der Befragten in Betracht.
"Damit verschenken die Unternehmen Chancen, denn gerade das sind die digitalen Werkzeuge, um direkt am Regal Zusatzumsätze, Cross Selling-Effekte wie auch Up Selling-Strategien zu verwirklichen", so Riekhof.
Grafik: Infografik: PFH Göttingen
Ein Drittel plant die Umsetzung von Instore Navigation
Um eine Verbesserung des Einkaufserlebnisses auf der Fläche geht es auch bei der Instore Navigation. Sie ist gerade bei großflächigen Betriebsformen und in Shopping Malls eine der Optionen, um KundInnen beim Einkauf im Stationärhandel auf digitalen Kanälen zu unterstützen. Mit Hilfe einer App können sie durch das Geschäft navigieren, um gesuchte Produkte schnell und ohne Umwege zu finden. Laut der Studie haben sich rund drei Viertel der Befragten bereits in Form von Pilotprojekten und Business Cases mit der Instore Navigation befasst, jedoch planen erst 32 Prozent eine Umsetzung in ihren Filialen.
Grafik: Infografik: PFH Göttingen
Positive Effekte auf Aufenthaltsdauer und Durchschnittsbon
81 Prozent der Befragten, die sich Instore Navigation befassen, erwarten eine höhere Kundenzufriedenheit, weil KundInnen gesuchte Produkte besser und schneller finden, weitere 51 Prozent der Befragten rechnen mit einer Entlastung des Personals. Und knapp 38 Prozent gehen davon aus, dass sich die Aufenthaltsdauer im Store um mehr als 10 Prozent erhöht. Mit Auswirkungen auf den Durchschnittsbon: Genau ein Drittel der Befragten rechnen mit mehr als 10 Prozent Zuwachs im Bon, ein Viertel sehen den Zuwachs zwischen 5 und 10 Prozent.
Keine Verbindung zum CRM: Handel nutzt Kundendaten nicht
"Ein essenzieller Bestandteil jeder Digitalisierungsstrategie im stationären Handel ist die personalisierte und individualisierte Kommunikation mit den Kunden. Dies setzt aber voraus, dass Kundenprofile auch im Laden verfügbar sind, idealerweise kombiniert mit einer Identifikation einzelner Kunden, wenn diese sich im Geschäft aufhalten", sagt Professor Riekhof. Zwar wollen insgesamt 66 Prozent der Befragten die Auswertung der Laufwege der Kundschaft zur Optimierung der Filialgestaltung und Warenplatzierung nutzen. Jedoch nur 22 Prozent der Befragten planen, die Instore Navigation mit dem CRM-System des Unternehmens zu verbinden.
"Das legt die Vermutung nahe, dass manche Handelsunternehmen die in einem integrierten Big Data-Ansatz steckenden analytischen Chancen auf der Basis digitaler Kundenkarten noch nicht zu erkennen scheinen", schlussfolgert der Wissenschaftler.
Instore Navigation rechnet sich
Die befragten ManagerInnen erwarten, dass sich die Instore Navigation auch wirtschaftlich rechnet: 33 Prozent der Befragten rechnen mit einer Amortisation innerhalb von ein bis zweieinhalb Jahren, 40 Prozent gehen von einer Amortisation innerhalb von zweieinhalb bis fünf Jahren und weitere 27 Prozent jenseits von fünf Jahren aus.
"Die Rechnung sieht noch sehr viel positiver aus, wenn die Instore Navigation mit dem Location-Based Marketing kombiniert wird. Denn daraus entstehen die Kaufimpulse und auch Cross-Selling-Effekte", erläutert Riekhof.
Konsequente Digitalisierung der Abläufe erforderlich
"Der digitale Konsument erwartet heute personalisierte Ansprachen, extrem schnelle Reaktionszeiten und möchte mit einem hervorragenden Service verwöhnt werden", so Riekhof. Dazu zählten auch Technologien wie Instore Navigation, die KundInnen zu Produkten oder Regalen leiten und ihnen zeigen, welche Produkte wo verfügbar sind.
"Der Stationärhandel muss die eigenen Aktivitäten strategisch neu ausrichten, um Marktanteile verteidigen zu können. Dazu gehört auch eine konsequente Digitalisierung der Abläufe im Store und auf der Fläche", sagt der Handelsforscher. Eine hohe Bedeutung habe zudem die persönliche, digitale Kundenkommunikation über das Smartphone direkt am POS. Die Autoren der Studie erwarten, dass viele Unternehmen mit digitalen Kundenkarten starten, um später weitere Lösungen für die mobilen Endgeräte der Kunden umzusetzen.
"Letztlich sollten sich alle Beteiligten vergegenwärtigen, dass die Digitalisierung der Such- und Kaufprozesse im stationären Handel erst am Beginn steht", schlussfolgert Riekhof. Weitere empirische Studien zum Thema aus Kundensicht sind in Planung.