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Online-HändlerInnen haben eine Menge Herausforderungen zu lösen. Immer wichtiger dabei: Die Produktdatenpflege. Das Thema klingt nach langweiliger und trockener Grundlagenarbeit, aber gerade deswegen ist es - buchstäblich - fundamental wichtig. Denn Produktdaten sind nicht nur die Basis für jeden Umsatz im Onlineshop (ohne Daten lässt sich schließlich gar nichts verkaufen), sondern sogleich die Grundlage für die gesamte Customer Experience, die der Shop den KundInnen bietet. Weshalb sich aus beiden Begriffen eine eigene Disziplin im E-Commerce gebildet hat: Product Experience Management, kurz PXM.
Was zunächst nach dem nächsten Hype klingt, der durch die Branche getrieben wird, verdient auf den zweiten Blick unbedingt eine genauere Betrachtung. PXM ist die Anreichung der Produktdaten um den Kontext des Kunden bzw. der Kundin. Daraus resultiert im besten Fall ein Service, der weit über den eigentlichen Einkauf hinausgeht.
Das klingt zunächst arg theorielastig, wird aber anhand eines praktischen Beispiels greifbarer: Ein Installateur plant anhand des Aufmaßes vor Ort nicht nur Rohrleitungen und Anschlüsse für das zu renovierende Badezimmer, sondern kann auch interaktiv mit den KundInnen die Ausstattung konfigurieren, virtuell planen und in 3D betrachten. Im Hintergrund wird der Auftrag automatisiert in eine Stückliste heruntergebrochen und in Echtzeit der Preis kalkuliert. Zuletzt wird die Bestellung beim Hersteller generiert und für den Handwerker ein neues Projekt in der integrierten Verwaltung angelegt - inklusive Terminabstimmung bei den KundInnen und Just-in-Time-Lieferung in den Betrieb.
Das Beispiel ist gar nicht so fiktiv, wie es zunächst klingen mag: Die Duschkabinenhersteller Duscholux
und Reflex-Winkelmann
, ein Anbieter für wasserführende Installationen, haben ähnliche Lösungen implementiert. Vorgestellt hat es der Myview
-Chef Thorsten Frank in seinem Vortrag "Wie Sie ihre Produktdaten in Produkterlebnis verwandeln" im Rahmen der iBusiness-Konferenz "B2B/B2C Digital 2022"
. Gemeinsam ist beiden Beispielen, dass das Einkaufserlebnis weit über das Ordern einzelner Artikelpositionen hinausgeht. Die Produkte werden vielmehr genau in den Kontext der KundInnen gebracht und der Verkauf zu einem hochindividuellen Service. Genau das ist Product-Experience-Management.
PXM braucht Produktdaten, aber Produktdaten sind noch kein Produkterlebnis
Um die oben skizzierte Vision Realität werden zu lassen, sind strukturiert aufbereitete Produktdaten zunächst eine elementare Voraussetzung. Dies sollte Sache eines Systems zum Product-Information-Management (PIM) sein. In diesem System werden Produktdaten zentral gesammelt, um sie den nachgelagerten Systemen (Shop, CMS, Katalog, Konfigurator etc.) bereitzustellen.
Das PIM-System hat dabei die Aufgabe, die verbindliche Produktdatensammlung im Unternehmen zu sein. Das heißt, dass hier alle Informationen aus den vorgelagerten Systemen zusammengeführt, ergänzt und aggregiert werden. Die umfassenden technischen Informationen werden außerdem um Media-Assets wie Bild, Video und Text angereichert. Sind diese in eigenen Applikationen vorgehalten (etwa einem CMS oder einem DAM), so bleiben im PIM die Bezüge gespeichert.
Die gesammelten Daten werden in Hierachien und/oder Kategorien systematisiert und strukturiert und können von dort kanal- oder situationsbezogen ausgespielt werden. Ob Katalog, Flyer, (PDF)-Datenblatt, Web-Shop, App, Online-Marketing oder Internet-Auftritt - alle Medien werden, zumindest was die Produktdaten betrifft - aus einem Single-Source-of-Truth-System bestückt. Das PIM schafft Datenkonsistenz und sorgt für medienneutrale Datenhaltung.
Soweit so gut. Aber ein PIM ist noch kein Product-Experience-Management. Letzteres entsteht, wenn den KundInnen - entsprechend ihrer momentanen Station - in der Customer Journey die passenden Informationen bereitgestellt werden. Nicht alle vorhandenen Informationen auf einmal und auch nicht für jede BesucherIn das Gleiche. Und schon gar nicht in jeder Kaufentscheidungsphase dieselben Informationen.
Um bei dem Beispiel der Badrenovierung zu bleiben: Zunächst geht es den KundInnen um eine ansprechende, emotional aufgeladene Darstellung der verschiedenen Badtypen. Sie wollen sich inspirieren lassen und verschiedene Beispiele sehen. Am besten natürlich anhand ihres eigenen Badgrundrisses. Es folgt die konkrete Entscheidungsphase: Passen die Teile zusammen und lassen sie sich wie gewünscht installieren? Was kosten sie? Welche Alternativen gibt es? Aber auch nachdem die endgültige Konfiguration gefunden ist und die Artikel bestellt sind, folgen mit Service und Support noch wichtige Phasen der Kundenbindung.
Die Aufgabe des PXM-Systems ist es, jeweils die passenden Informationen für jede dieser Phasen bereitzustellen:
- Awareness: In dieser Phase sollte der Fokus auf Marke und Produkte sowie einer emotionalen Präsentation liegen, um den Kunden bzw. die Kundin zu begeistern.
- Consideration: Ist das Interesse geweckt, gilt es, die konkrete Entscheidungsfindung zu unterstützen. Dafür sind Produktinformationen, Konfiguratoren, Datenblätter, Auswahl-Assistenten, Suche- und Recherche-Tools sowie FAQs geeignete Mittel.
- Conversion: Ist der Kunde/die Kundin bereit zu kaufen, müssen Ausschreibungsunterlagen, Planungsinformationen, Preisinformationen, Angebote, Bestellübersichten erzeugt werden.
- Service: Nach dem Kauf sind Self-Service-Tools, Personalisierungsfunktionen oder Punchout-Kataloge entscheidend.
- Loyalty: in der letzte Phase (bevor sich der Kreislauf hoffentlich wieder schließt) geht es darum, die Kundenbindung zu stärken. Dazu sind Informationen zu Verbrauchsmaterialien und Ersatzteilen, die Abwicklung von Garantie und Reklamationen, die Bereitstellung von Arbeitstools oder ein persönlicher Kontakt wichtig.
Spezialfall D2C: Den Herstellern fehlt das Produkterlebnis
Ein stark wachsendes Modell im Online-Handel ist das Direct-to-Consumer-Geschäft (D2C), bei denen Hersteller direkt an VerbraucherInnen verkaufen. Für Hersteller liegt der besondere Reiz darin, die Verkäuferprovisionen auszuschalten. Aber auch viele KonsumentInnen fühlen sich damit wohl. Sie informieren sich ohnehin sehr selbständig im Netz und haben ein selbstbestimmteres Einkaufserlebnis, wenn sie direkt beim Hersteller einkaufen.
So attraktiv das D2C-Format für Hersteller ist, so groß sind die Schwierigkeiten. Denn Hersteller verfügen naturgemäß über wenig Verkaufs- und Marketingerfahrung. Und auch zum Produkterlebnis steuert oft der Händler und nicht der Hersteller den entscheidenden Anteil bei. Dies gilt vor allem dann, wenn der Hersteller keine eigene starke Marke darstellt.
Alleine die Tatsache, dass ein Produkt in einem bestimmten Shop angeboten wird, ist bereits eine Botschaft. Ein Seilspanner aus einem Shop für Segelbedarf wird automatisch als marinetauglich wahrgenommen. Der Shop adressiert bereits eine bestimmte Zielgruppe - der Hersteller hingegen nicht immer. Umso wichtiger ist es für ihn, die Produktinformationen in den Kontext der Käuferin oder des Käufers zu stellen. Einen Schäkel aus A4-Edelstahl eben zum Beispiel in einen nautischen Zusammenhang, das verzinkte Pendant dagegen eher in Gartenbau.
Zugegeben: Für ein Kleinteil aus der Eisenwarenabteilung mag sich ein PXM nicht lohnen. Aber auch ein Reiseanbieter kann vom Wochenendtrip bis zum Familienurlaub eine breite Angebotspalette aufweisen. Für einen Hersteller ist gar nicht einfach, seine Zielgruppe kennenzulernen und die Intentionen des Kunden oder der Kundin herauszufinden. Eine gute Produktdatenstrategie hilft einem Hersteller aber auch dabei, seine KundInnen besser kennenzulernen. Denn die Daten fließen nicht nur in eine Richtung: Produktinformationen helfen auch dem Unternehmen, das Kundenverhalten besser zu verstehen. Je mehr Daten zu einem Produkt zur Verfügung stehen, desto besser erfährt man mehr über den Kunden bzw. die Kundin. Bevorzugt er bzw. sie einen bestimmten Materialmix? Eine Farbe? Oder einen konkreten Einsatzzweck? Das lässt sich natürlich nur herauslesen, sofern diese Informationen in den Produktdaten vorliegen.
PXM: Daten zielgruppenspezifisch erweitern
Product-Experience-Management (PXM) erweitert die Kernprozesse eines PIM um die Kontextualisierung: Die Daten werden nun zusätzlich für Zielgruppe und Kanal ausgeprägt, um KundInnen durch spezifische Produktinformationen zielgerichteter anzusprechen. Um ein PIM zu einem PXM zu erweitern, muss es in der Lage sein, Varianten in den Daten abzubilden.
Da eine eigenständige Software für PXM-Zwecke aufgrund der großen Schnittmenge mit dem PIM-System wenig sinnvoll wäre, wird die PXM-Funktionalität meist als Erweiterung über die PIM-Software gelegt. Bei dieser Kombination übernimmt das PIM-System das Datenmanagement, während sich der PXM-Part um den aktiven Part, das Ausspielen der Daten, kümmert. Das bedeutet, im PIM-System werden die Produktdaten zentral für alle Ausspielwege mitsamt Bildern, Videos und Beschreibungen gespeichert.
Die PXM-Ergänzungen setzen diese Produktpräsentationen dann in den jeweiligen Verwendungskontext: Welcher Kunde und welche Kundin braucht sie wann an welchem Touchpoint? Welche Aspekte der Präsentation sind dort nach vorne zu stellen? PXM kümmert sich also um das Ausdifferenzieren, Anpassen und Ausspielen der vorliegenden Produktinformationen aus dem PIM. Dabei wird es mittlerweile immer häufiger von Künstlicher Intelligenz unterstützt, die Bedürfnisse der KonsumentInnen aus Erfahrungswerten vorausberechnet und Maßnahmen empfohlen.
Eine wichtige Rolle kommt dabei der Integrierbarkeit der PXM-Lösung zu. Sie fungiert letztlich als zentrale Informationsschnittstelle und muss Marketing-Applikationen, Konfiguratoren im Back- und Frontend sowie ECommerce-, ERP- und Content-Management-Systeme beliefern.
Checkliste: Worauf Sie bei der Auswahl eines PXM achten müssen
- Strategie: Legen Sie gleich zu Beginn fest, welche Anforderungen ferner das Product-Information-Management-Systems im Sinne Ihrer Unternehmensstrategie und Ihrer Marketingstrategie erfüllen muss. Holen Sie dazu alle Beteiligten mit ins Boot und scheuen sie sich auch nicht, externe Berater zu konsultieren.
- Anwendungen statt Technik: Lassen Sie sich das System unbedingt in einem Testlauf vorführen. Definieren Sie dazu mehrere für Ihr Unternehmen relevante Use-Cases. Lassen Sie sich diese anhand eigener Produkt- und Mediadaten vorführen.
- Kundennutzen statt Features: Lassen Sie sich nicht von einer Fülle von Funktionen blenden. Nicht alles was technisch umgesetzt ist, muss für Ihren Bedarf auch nötig sein. Spezifische Werkzeuge beispielsweise für Datenmapping, Marketingplanung oder Publishing sind nützlich, wenn Sie entsprechende, immer wiederkehrende Aufgabenstellungen haben (und kein anderes Tool, das diese Aufgaben erfüllt). Falls nicht, sind sie nicht nur überflüssig, sondern verhindern unter Umständen sogar die Vergleichbarkeit bei der Auswahl.
- Datenpflege: Achten Sie darauf, dass die Datenhaltung und Datenpflege medienneutral und so granular wie nötig erfolgt. So stellen Sie sicher, dass Ihre Produktinformationen jederzeit schnell und passgenau für den jeweiligen Anwendungsfall auffindbar sind.
- Datenqualitätsmanagement: Datenqualitätsmanagement ist bei einem PIM oberstes Gebot. Stellen Sie sicher, dass die Aktualisierung von Daten, die Qualifizierung, die Prüfung mit ihren internen Prozessen kompatibel ist. Denken Sie auch an zukünftige Herausforderungen wie das Lieferkettengesetz oder ihre mögliche Expansion in andere Märkte. Hier müssen dann Sprach- und Lokalisierungsfunktionen verfügbar sein, mit der sie jedes einzelne Produkt aussteuern können.
- Schnittstellen: Moderne PIM-Systeme sind immer Teil einer gesamten (Onlinehandels-)Infrastruktur. Deswegen ist die Schnittstellenanbindung besonders wichtig. Stellen Sie sicher, dass dort, wo Echtzeit nötig ist, auch APIs vorhanden (und nicht nur versprochen) sind. Auch der Datenimport von ihren Lieferanten muss leicht möglich sein.
- Chemie: Suchen Sie einen Anbieter, der wirklich zu Ihnen passt. Die Einführung kann schließlich mehrere Monate in Anspruch nehmen und erfordert eine enge Zusammenarbeit, soll sie ressourcenschonend und mit schneller Produktivsetzung erfolgen. Dazu müssen Sie auf Augenhöhe mit dem Softwareanbieter kommunizieren können. Ein kleiner Mittelständler und ein Softwarekonzern sind kein Dreamteam. Hilfreich sind hier vielmehr Dienstleister, die sich auf die Implementierung von kleineren PIM-Lösungen spezialisiert haben.