08.12.2022 - Der Vertrieb ist radikal im Wandel. Denn die Welt, in der er sich bislang bewegte, existiert in dieser Form nicht mehr. Veränderte Gewohnheiten, Ansprüche und äußere Bedingungen erfordern neue Strategien. Wie man den Vertrieb als People Business in die digitale Welt hebt.
von Christina Rose
Die Pandemie hat einen Trend ausgelöst, der weiter an Fahrt gewinnt. Mit der Digitalisierung von Marketing und Vertrieb ist die Nachfrage in B2B-Projekten, speziell in der Industrie, nach Vermarktungstransformationsprojekten enorm gestiegen. Und es ist zunehmend ein langfristiges Strategiethema. Die Unternehmen beschäftigen sich nicht mehr kurzfristig (6-12 Monate) damit, wie sie das Ganze aufbauen, sondern denken eher in Zeiträumen von 12, 24 sogar 36 Monaten.
Die größte Veränderung, die mit Beginn von Covid kam, ist die des B2B-Vertriebs. Der klassische Vertrieb mit seinen etablierten Werkzeugen, wie Messe, Präsenztermine und Workshops, ist komplett weggefallen. Zwar kommen sie in homöopathischen Dosen zurück, werden aber nie wieder den Vor-Pandemie-Status erreichen. Das stellt viele Unternehmen vor riesige Herausforderungen. In Gesprächen mit Unternehmen hört Nicolas Wandschneider, Geschäftsführer des auf B2B-Marketing und Vertrieb spezialisierten Beratungsunternehmens Cloudbridge Consulting, immer wieder: "Wir haben große Mannschaften von Außendienstlern und Vertrieblern - was machen wir jetzt mit denen?"
Neben der Personalsicht gilt noch zu klären: Wie begegnen wir den neuen Kundenanforderungen? Mit Covid ist die Digitalisierung in eine Art Turbomodus getreten. Und die B2B-KundInnen fordern massiv digitalen Vertrieb.
Die McKinsey-Studie "German B2B decision maker response to COVID-19 crisis" belegt, dass nur noch 20 bis 30 Prozent der B2B-KäuferInnen jemals persönlich mit Vertriebsmitarbeitenden interagieren möchten, selbst in ihrem idealen post-Covid-19-Modell. Rund 90 Prozent der B2B-EntscheidungsträgerInnen erwarten, dass das Remote- und digitale Modell langfristig bestehen bleibt, und rund 70 Prozent glauben, dass das neue Modell genauso effektiv oder effektiver ist als vor Covid-19 - sowohl für bestehende als auch für potenzielle KundInnen.
Vor-Pandemie-Status ist unerreichbar
Der digitale Vertrieb wird massiv gefordert. Der Haken: Es gibt ihn so in der Definition aber noch gar nicht, weil er sich noch in der Findungsphase befindet. Der aktuelle Stand liegt irgedwo zwischen "Es ist im B2B-Vertrieb nicht alles gut oder schlecht, aber anders." Wenn KundInnen mit überwältigender Mehrheit digitale Ansätze fordern, sich digital über Services und Leistungen informieren, digital mit Menschen sprechen möchten, aber auch zu einem nicht zu unterschätzenden Anteil Dinge im Selfservice beziehen können, krempelt das bestehende Strukturen massiv um. Und auch die Bereitschaft von B2B-KundInnen auch höhere Volumen digital oder auch im Selfservice zu kaufen, ist enorm gestiegen.
"Es gab früher Schwellenwerte von 1.500 oder 2.000 Euro, für die man als B2B-Kunde mit Kreditkarte gewillt war einzukaufen. Dieser Wert ist exorbitant gestiegen. Die überwältigende Mehrheit würde auch für 50.000 Euro und mehr über digitalen Selfservice einkaufen", schildert Wandschneider.
Einkaufssummen im digitalen Selfservice steigen exorbitant
Wie reagieren die Unternehmen auf diese Umwälzungen im B2B-Vertrieb? Im Idealfall nutzen sie das Marketing als Enabler von digitalem Sales. "Und wir glauben, dass die Zeit nie günstiger war, diese beiden Bereiche zu verbinden", sagt der B2B-Berater. "Der traditionelle B2B-Vertrieb war über alle Branchen hinweg in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren erfolgreich. Von daher war der Schmerz nie groß genug sich mit dem Marketing zusammenzutun, gerade in der Industrie." Denn der Vertrieb waren die Heroes, die Umsatzbringer. Das Marketing waren die, die bunte Dinge machen. Der erfolgsverwöhnte Vertrieb war also nie gezwungen, richtig digital zu arbeiten.
Angefangen beim Customer-Relationship-Management (CRM). Laut Salesforce-Studie "The state of CRM" verfügt nur jedes dritte Unternehmen über eine einzige, zentrale Sicht auf Kundeninformationen. Aber neun von zehn sind der Meinung, dass dies wertvoll wäre. Der Anteil derjenigen, die das CRM wirklich mit Daten aus dem Vertrieb füttern, ist verschwindend gering.
"Das Marketing hingegen beschäftigt sich schon viel länger mit Digitalisierung: Das Thema Marketingautomatisierung ist seit 2010 Mainstream", sagt Wandschneider. Zudem ist das Marketing auch in der Lage, in der digitalen Customer Journey über Bereiche hinauszudenken, heißt konkret: Wie kann man den Vertrieb mit Hinblick auf seine drei Phasen (Presales, Sales und Aftersales) digital gestalten? "Hier herrscht noch viel Überforderung. Das Marketing kann dem Vertrieb hier aber helfen", erklärt er.
Das fängt damit an, dass man sich über Tools und digitale Touchpoints unterhält, dass man dem Vertrieb beispielsweise beibringt, wie man mit einem Miro-Board arbeitet, also einem Online-Whiteboard, mit dem Teams in Echtzeit und asynchron arbeiten können. Besprechungen und Brainstormings funktionieren, als wenn alle im selben Raum wären - und doch sitzen alle im Home-Office. Mit dem Board können agile Arbeitsabläufe dargestellt und Strategien visualisiert werden. "Der next Step dreht sich um die Frage: Wie kann ich meine Produkte und Leistungen den KundInnen zur Verfügung stellen? Manche B2B-Anbieter betreiben Shops, aber die überwiegende Mehrheit noch nicht", skizziert der B2B-Berater.
Viele Unternehmen betrachten Digitalisierung immer noch als eine rein technische Angelegenheit und lassen den strategischen Aspekt außer Acht, kritisiert Wandschneider: "Dabei müssen auch Unternehmensstrukturen und -prozesse der neuen digitalen Welt angepasst werden. Die Digitalisierung im Vertrieb hat zum Beispiel zur Folge, dass Vertriebsaktivitäten, die bisher vor allem nach dem Push-Prinzip proaktiv aus dem Sales ausgelöst wurden, künftig in einer Pull-Logik funktionieren, indem die KundInnen zu jeder Zeit einen Kaufimpuls auslösen können." Es gehe unter anderem um das Design der Customer Journey, sowohl im Sales- als auch im Pre-Sales-Bereich, aber auch um den Aufbau neuer Formate, zum Beispiel zum gezielten Self-Service. Der Vertrieb hat die Möglichkeit, neue Technologien zu nutzen, sei es für die Anreicherung von Unternehmensprofilen um neue Daten, sei es um für Potenzialanalysen für vertriebliche Aktivitäten, sei es für die Präsentation von Leistungen und Lösungen in Vertriebsgesprächen.
Bisher waren Marketing und Vertrieb stark getrennt voneinander organisiert, das jeweilige Wissen war als Herrschaftswissen separiert. Wandschneider: "In der digitalen Welt müssen Marketing und Vertrieb Hand in Hand miteinander agieren, Datensilos müssen aufgelöst und interdisziplinäre Teams gebildet werden."
All dies erfordert Mitarbeiter-Skills, die - um es höflich zu sagen - noch ausbaufähig sind. Der Vertrieb hat in der Breite noch kein sehr ausgeprägtes digitales Verständnis. Wie aber hebt man Kompetenz und Vertrauen in eine Person - denn Vertrieb ist People Business - in die digitale Welt? Hier kann das Marketing viel helfen - zumindest da, wo es in den letzten Jahren einen guten Job gemacht hat. Denn in manchen mittelständischen Unternehmen gleicht das Marketing allenfalls einer mittelprächtigen Kommunikationsagentur. Insgesamt ist in Deutschland der Reifegrad von modernem digitalen Marketing relativ gering, wobei es auch bei diesem geringen Reifegrad erhebliche Unterschiede gibt.
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