Marken-Relaunch

Herausforderung Handelsmarketing: Wie Gravis besser als Apple werden will

23.11.2023 - Gravis - sind das nicht die kleinen Mac-Läden aus dem Univiertel? Genau! Nur, dass die Marke inzwischen mächtig im Wettbewerb steht. Denn: Alle kaufen online, viele direkt bei Apple - und schon längst spricht die Marke nicht mehr vorwiegend GrafikerInnen, StudentInnen und DozentInnen an. Zeit für Gravis, Veränderung zu wagen.

von Dominik Grollmann

Zur Person

Mirja Marek (41) verbindet durchaus eine persönliche Beziehung zur Marke Gravis: Den Hamburger Store kennt sie schon seit ihrer Ausbildung in den frühen Nuller-Jahren - damals noch als Kundin. Bevor sie bei Gravis zum Head of Marketing wurde, hat Marek Stationen in der Fashion- und Agenturbranche durchlaufen - unter anderem bei Liebeskind Berlin.

Die Computerkette Gravis   ist der Apple-Pionier schlechthin. Seit mehr als drei Jahrzehnten - und damit schon lange bevor Apple seinen ersten eigenen Shop in Deutschland eröffnete - ist der PC-Händler erste Anlaufstellen für Apple-KundInnen in Deutschland. Das 1986 gegründete Unternehmen hat zunächst dem Mac, später aber auch dem iPod, iPhone und iPad in Deutschland zum Durchbruch verholfen. Dabei blieb Gravis über die Jahrzehnte nicht nur der Marke Apple   , sondern auch seinen Wurzeln treu: Viele KundInnen entstammen dem universitären Umfeld, immer hat Gravis vor allem mit Top-Beratung und persönlichem Service gepunktet. Viele treue Fans danken das bis heute.

Aber natürlich hat sich die Welt inzwischen weiter gedreht: Aus dem elitären Nischenanbieter Apple ist eine der populärsten Marken überhaupt geworden. Die Zielgruppe ist jünger, moderner und im Vergleich zu früher viel breiter gefasst. Und: Apple selbst ist längst nicht nur IT-Hersteller und-Marke, sondern gilt auch als einer der besten Händler weltweit - egal ob online oder stationär.

Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass sich auch Gravis bewegen musste. Der Pionier bietet heute nicht nur eine große Auswahl an Apple-Produkten, sondern hat auch sein Serviceangebot erheblich ausgeweitet: Von technischem Support und Reparaturen bis hin zu persönlicher Beratung und Workshops bietet Gravis besten und modernsten Service rund um das Apple-Ökosystem.

Wenn sich der Markt und das Angebot verändern, muss sich natürlich auch die Marke ändern. Bei Gravis ist dafür Mirja Marek verantwortlich. Seit 2022 ist sie Head of Marketing, zuvor arbeitete sie bei der Digital-Agentur Newman Agency, war für das Brand-Marketing von Liebeskind Berlin verantwortlich und sammelte Erfahrung bei Modedesigner Guido Mario Kretschmer sowie den Agenturen Publicis und TAS. ONEtoONE sprach mit Marek über die Herausforderung, die Marke Gravis zu relaunchen - gerade in schwierigen Zeiten.

Jünger, moderner, zeitgemäßer: Gravis hat gerade einen umfangreichen Relaunch hingelegt. Was steckt genau dahinter?

Mirja Marek: Wir haben im vergangenen Jahr sehr viel Aufwand betrieben, um unsere Positionierung und Strategie zu prüfen. Wir wollten herausfinden: Wie nehmen uns eigentlich unsere Kunden wahr, wofür steht die Marke Gravis und warum kommen unsere Kunden gerne zu uns? Vor allem aber natürlich: Wie unterscheiden wir uns vom Wettbewerb? Wir haben dabei auch festgestellt, dass wir inzwischen ein bisschen in die Jahre gekommen sind. Auf unserem Design, auf unserem Konzept und auf unserem Logo lag auch schon ein wenig Staub. Deswegen haben wir es erneuert und aufgefrischt. Alles ist nun ein bisschen moderner und ansprechender für jüngere Zielgruppen.

Geht es also vor allem darum, für eine jüngere Zielgruppe attraktiver zu sein?

Ja und nein. Wir haben viele äußerst treue Stammkunden, die seit zehn, 20 Jahren bei uns kaufen, die wir mit Handschlag begrüßen und die zum Teil von weit her kommen. Diese Kunden kennen uns noch aus Zeiten, als Apple gar keine eigenen Läden in Deutschland hatte. Wir haben noch viele tausend Kunden aus dieser Zeit - es sind unsere treuesten! Und die wollen wir natürlich nicht verlieren, sondern auf unserer Reise mitnehmen. Sie sind unser absolutes Asset.
Gleichzeitig müssen wir uns aber auch verjüngen und Menschen ansprechen, die vielleicht nicht so treue Apple-Fans sind. Unser Ziel ist es, dass uns auch Techies auf dem Schirm haben, die sich einfach nur für neue Geräte interessieren - und deswegen eben auch für Apple. Daher: Ja, wir wollen uns verjüngen. Aber wir wissen auch, was wir an unseren Stammkunden haben - und wir wollen keinen einzigen davon verlieren.

ONEtoONE 6/2023 - Handelsmarketing im Fokus

Zu einem Relaunch gehören nicht nur Design und Farbe, sondern auch Inhalt und Funktion. Was hat sich da getan?

Wir haben schon im Sommer letzten Jahres ein neues Konzept auf den Weg gebracht und uns vor allem Gedanken um die Frage gemacht, wie wir die Menschen wieder in die Stores bekommen. Diese Überlegung war ehrlicherweise schon vor Corona aktuell.
Zuallererst haben wir unsere Kunden befragt, um zu erfahren: Was brauchen sie eigentlich? Was wollen sie, wenn sie zu uns in die Läden kommen? Da ging es ganz viel ums "Erleben" - um das Erlebnis, mit einem Apple-Produkt in Berührung zu kommen. Jeder, der schon mal ein iPhone ausgepackt und erlebt hat, wie der Deckel in slow-mo von der Verpackung slided, wie schön sich die Folien abziehen lassen und wie wertig die Zubehörschachteln sich anfühlen, der weiß, dass es ein besonderes Gefühl ist, mit Apple-Geräten in Berührung zu kommen.
Dieses Gefühl immer wieder erlebbar zu machen und am besten noch zu steigern, ist Aufgabe der Stores. Ich erlebe das zum Beispiel mit meiner Apple Watch. Ich glaube wirklich, dass ich mich gut mit ihr auskenne. Aber jedes Mal, wenn ich zu Besuch bei einem Store-Manager bin, lerne ich doch wieder vier, fünf neue Tricks. Das sind magische Momente, um die es geht.
Am besten erleben wir das natürlich, wenn gerade neue Produkte von Apple vorgestellt wurden. Dann wollen die Menschen nicht online bestellen, warten und im Zweifel wieder etwas zurückschi­cken. Sie wollen die Sachen erst einmal anfassen, ausprobieren und mit Gleichgesinnten darüber fachsimpeln. Es macht ja auch Spaß, mit einem Experten über die tollen Neuigkeiten zu reden.
Dazu haben wir zum Beispiel so kleine Lounges in den Läden. Das sind so heimelig gemachte Sofa-Ecken, wo man mal entspannt AppleTV ausprobieren kann. Ich war wirklich überrascht, wie oft und wie lange da Menschen sitzen.

Wohlfühlen, verweilen, entdecken:  Das neue Store-Konzept, das sukzessive in ganz Deutschland eingeführt wird, soll eine entspannte Atmosphäre bieten und die Beratungsleistung ? die Kernkompetenzen von Gravis ? in den Mittelpunkt zu rücken. Kontrastriert werden diese Lounge-Bereiche von dicht bepackten Warehouse-Bereichen, in denen sich die KundInnen selbstbestimmt mit Zubehörartikeln eindecken können. (Bild: Gravis)
Wohlfühlen, verweilen, entdecken: Das neue Store-Konzept, das sukzessive in ganz Deutschland eingeführt wird, soll eine entspannte Atmosphäre bieten und die Beratungsleistung ? die Kernkompetenzen von Gravis ? in den Mittelpunkt zu rücken. Kontrastriert werden diese Lounge-Bereiche von dicht bepackten Warehouse-Bereichen, in denen sich die KundInnen selbstbestimmt mit Zubehörartikeln eindecken können.

Und verkaufen wollen Sie gar nichts?

Wir haben zwei wichtige Säulen in unserem Store-Konzept: Zum einen den beschriebenen Inspirations- und Erlebensbereich - übrigens nicht nur für Apple-Produkte, sondern auch für Zubehör anderer Hersteller. Und daneben eine Art Warehouse. Dort hängt die Ware relativ dicht. Man kann man sich Kabel, Steckdosen, Adapter und was es so alles an Zubehör gibt, schnell rausnehmen und einkaufen.
Wir haben also beides: Man kann einfach nur schnell ein Kabel kaufen. Oder man bringt etwas Zeit mit und kommt, um zu sehen und zu testen. Man kennt das vielleicht als das Ikea-Prinzip - erst inspirieren, dann kaufen.
Unsere Kunden mögen das: Sich einerseits selbstbestimmt ein Kabel holen zu können und andererseits gucken, erleben, entde­cken. Wir selbst sind mit dem Ladenkonzept sehr happy und freuen uns, damit für den German Design Award nominiert zu sein. Die Stores sehen hochwertig aus, man geht gerne hinein. Dadurch hat sich die Aufenthaltsdauer deutlich verlängert. Manchmal kommen auch Leute rein, die sagen: "Das sieht alles so spannend aus, ich wollte einfach mal gucken. Was gibt es denn hier?".

Ist es Ihnen also am liebsten, wenn die Kunden in die Läden kommen? Oder sind Ihnen am Ende doch Online-Besteller lieber, weil sie weniger Kosten verursachen?

Am Ende des Tages sind wir über jeden Kunden froh, egal ob er online kauft oder in den Store kommt. Und ein Online-Shop ist ja übrigens auch nicht ganz günstig. Wir haben eben erst unsere Website komplett überarbeitet und gemeinsam mit einer UX-Agentur viele Stunden damit verbracht, einen vollständig User-zentrierten Ansatz zu entwickeln. Apple hat mittlerweile ein riesiges Produktportfolio, wir haben dazu unser Zubehör - wie kann man sich da zurechtfinden? Wie kommt man schnell zu dem, was man sucht? Auf diese Fragestellung haben wir die gesamte UX optimiert.
Aber trotzdem ist es uns extrem wichtig, dass die Leute in den Store kommen. Denn dort haben wir unser wichtigstes Asset: Menschen. Damit meine ich unsere Teams vor Ort, die auf Augenhöhe beraten und Tipps geben. Wir wissen aus der Marktforschung, dass es unseren Kunden sehr wichtig ist, auf Augenhöhe behandelt zu werden. Deswegen kommen sie in die Läden. Dann trauen sie sich, auch "doofe" Fragen zu stellen, weil sie irgendetwas nicht hinkriegen. Oder sie bringen gleich ihren Rechner mit und sagen: "Könnt ihr euch das bitte mal angucken?".
Diese menschliche Komponente können wir niemals online abbilden, egal wie wir uns auf den Kopf stellen. Das funktioniert nur im Laden. Wir sind sehr stolz darauf, dass wir solches Top-Verkaufspersonal haben, leidenschaftliche Verkäuferinnen und Verkäufer, die einen sehr guten Job machen.

Also umgekehrt: Das stationäre Geschäft ist wichtiger?

Ohne online funktioniert heute keine Customer Journey mehr. Natürlich müssen wir - Stichwort Omnichannel - alle Kanäle nahtlos verknüpfen. Wenn man seinen Kunden ein gutes Einkaufserlebnis bieten möchte, kommt man an online nicht vorbei. Selbst der Mitarbeitende im Store muss schnell etwas mit und für den Kunden bestellen können, wenn das, war er sucht, nicht vorrätig ist. Die Lagerkapazitäten sind logischerweise nicht unbegrenzt. Unser Ziel ist ganz klar, dass der Kunde eine gute Customer Journey hat. Aber wenn Sie mich jetzt so fragen - dann habe ich die Kunden schon am liebsten im Store. Dort kann man erleben, wie man ganz unaufgeregt fair und unabhängig beraten werden kann.

Design, Beratung, Atmosphäre, - welche Stellschrauben stehen einem Händler noch zur Verfügung?

Eine wichtige strategische Komponente ist das Sortiment. Ein Händler definiert sich über sein Sortiment. Deswegen haben wir uns genau angesehen, was hier noch zu unserem Markenversprechen passt. Dazu gehört erst einmal, dass wir uns selbst prüfen. Welche Innovationskraft haben wir? Wo müssen wir nachlegen? Und wenn wir unsere Positionierung verändern wollen: Welche Marken fehlen uns? Welche Entwicklung sehen wir langfristig bei den Marken? Welche Marken sind für jüngere Zielgruppe, die wir im Auge haben, relevant? Das war eine wichtige strategische Komponente in unserem Relaunch.

Sie stehen vor der Herausforderung, nicht nur Apple-Produkte zu verkaufen, sondern auch im Wettbewerb zu der extrem starken Handelsmarke Apple zu stehen. Wie unterscheiden sich Gravis- von Apple-Kunden? Sprechen Sie vielleicht eher Selbstständige und Geschäftskunden als Privatkunden an?

Ich glaube, dass sich insbesondere bei Apple diese Lebensbereiche extrem vermischen. Es gibt kaum Menschen, die im Privatleben ein iPhone benutzen und im Berufsleben sagen: "Da will ich jetzt lieber Windows haben!" Insofern ist es nicht hilfreich, unsere Zielgruppe an dieser Linie zu trennen. Ich glaube sogar, dass es recht fluide ist, wer zu Gravis und wer in einen Apple-Store kommt. Ich denke, es ist eher eine Frage der unabhängigen Beratung. Wer mit Experten fachsimpeln will, wer mehr Beratung zu übergreifenden Themen will, der kommt zu uns.

Kann man vom Alter her einen Unterschied aufmachen?

Das wäre schön! Für mich wäre es viel einfacher, wenn ich sagen könnte: Unsere Kunden sind Typ X, seit 20 Jahren dabei, männlich, Mitte 50. Aber die Realität ist: Jedes Mal, wenn ich in einem unserer Läden bin, treffe ich genauso Studenten wie Frauen und Männer, die schon sehr, sehr lange Apple-Fans sind. Es kommen ganze Familien in den Laden. Ein Mann, der schon seit 20 Jahren bei uns kauft, mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern, die dann ein iPhone oder ein iPad für die Schule wollen.
Wir untersuchen das regelmäßig und es gibt schon eine Tendenz: Unsere Kunden sind eher ein bisschen älter und ein bisschen männlicher. Aber es ist eben nur eine Tendenz. Im Grunde sind sie gut durchmischt.

Hassen oder lieben Sie es, dass Apple selber die Messlatte für Händler so hoch legt? Apple gilt ja als ein Händler, der seinen Job sehr gut macht.

Ich könnte nichts in Verbindung mit Apple jemals hassen. Apple ist Jahr für Jahr die wertvollste Marke der Welt. Und das nicht umsonst. Die machen einen fantastischen Job. Aus Marketing-Sicht gibt es wirklich nichts Höheres und deswegen finde ich es auch nur richtig, konsistent und konsequent, dass sie einen Top-Retail haben. Ich finde das eine tolle Benchmark und wir gucken natürlich auch immer wieder, was wir besser machen können. Wenngleich ich schon sagen muss: So wie wir den Faktor Mensch ins Zentrum stellen, das finde ich in der Konsequenz sonst nirgendwo.

Wir haben jetzt ziemlich viele turbulente Jahre hinter uns. Ausgerechnet in dieser Zeit haben Sie angefangen den Relaunch voranzutreiben. Wie plant man, wenn man eigentlich nicht mehr planen kann?

Wir konnten das gut abkoppeln. Strategisch betrachtet war es Zeit für eine Auffrischung, wir mussten etwas Staub abschütteln. Diese Tatsache besteht unabhängig davon, ob die Welt draußen gerade verrückt spielt.
Aber dann kommt der praktische Teil der Arbeit. Da geht es eher um die Frage, ob gerade jetzt der richtige Zeitpunkt für diese oder jene Maßnahme ist. Da ist es natürlich schon hilfreich, wenn es verlässliche Prognosen für die nächsten Monate gibt. Wenn man valide schätzen kann, wie die Leute konvertieren und wie man sie ansprechen soll. Das ist im Moment nicht so einfach. Man kann nur versuchen, den Kunden besonders gut zuzuhören, um zu verstehen, was vor sich geht. Klar: Ein Marketer sollte immer im Kontakt mit den Kunden stehen, aber gerade jetzt ist das besonders wertvoll. Wir können zum Glück auf eine eigene Marktforschung mit eigenem Team und entsprechenden Ressourcen zählen. Das kenne ich aus meiner Vergangenheit nicht von jedem Unternehmen.

Corona war wie ein Brandbeschleuniger für die Digitalisierung und hat Onlinehandel und Homeoffice beflügelt. Präsenzläden haben dagegen teils böse verloren. Welche Veränderungen sind geblieben?

2020/21 hatten wir natürlich eine Sonderkonjunktur. Alle sind ins heimische Internet geflüchtet und brauchten Rechner und Infrastruktur. Das waren einerseits Privatpersonen, die sich erstmals damit auseinandersetzen mussten, wie sich zu Hause arbeiten lässt. Aber auch Unternehmen, die ihre Mitarbeiter ausgerüstet haben. Nach jeder Sonderkonjunktur kommt aber logischerweise eine Delle. Wenn sich die ganze Nation 2020/21 mit Rechnern eindeckt, dann sind die 2022/23 logischerweise erst mal versorgt.
Was aber geblieben ist - sogar mit wachsender Tendenz -, ist der Wunsch, den Heim-Arbeitsplatz vernünftig auszustatten. Das ist immer auch eine Frage der Technik - seien es Smart Home-Geräte, Monitore oder eben auch mit Sachen, die sich flexibel einsetzen lassen. Nicht jeder hat ein Arbeitszimmer zur Verfügung. Ich arbeite zum Beispiel im Wohnzimmer - und wenn dann Feierabend ist, dann hätte ich auch gerne wieder ein Wohnzimmer. Das heißt: Meine Homeoffice-Ausstattung ist klein, fein, und trotzdem so, dass ich gut arbeiten kann.

Auf Corona, ECommerce-Boom und Homeoffice-Trend folgten nahtlos: Krieg, Inflation, Energiekrise und Wirtschaftsflaute. Merken Sie mit einer hochpreisigen Marke wie Apple die schlechte Kauflaune besonders?

Ja, das merken wir schon. Das sind zwei gegenläufige Entwicklungen. Auf der einen Seite gibt es das immer noch sehr hohe Interesse, sich vernünftig auszustatten. Auf der anderen Seite überlegen sich die Menschen aufgrund der konjunkturellen Lage gut, ob sie wirklich einen neuen Rechner brauchen. Wir steuern mit verschiedenen Angeboten gegen: Es gibt Finanzierungsmodelle und inzwischen lassen sich fast alle Produkte - nicht nur Apple-Produkte - bei uns auch abonnieren, statt sie zu kaufen. Es gibt auch immer das Angebot, Altgeräte einzutauschen. Wir versuchen da im Verkaufsgespräch schon, die Hürden ein wenig zu senken.
Zum Glück ist Apple aber eine Marke, die super innovativ ist. Das macht gerade Apple-Fans den Mund ständig wässrig. Die stöhnen zwar auch bei jeder Keynote über die Preise. Aber gekauft wird dann trotzdem.

Ihr persönlicher Background liegt nicht nur im Agentur- und Marketing-Business, sondern auch in Mode und Lifestyle. Können Sie etwas davon in Ihre Arbeit bei Gravis einfließen lassen?

Gravis ist eine Love Brand. Wir haben zwar noch nicht die Bekanntheit, die wir uns wünschen. Nicht jeder kennt die Marke. Aber wer Gravis kennt, ist eigentlich immer begeistert. Wenn ich erzähle, wo ich arbeite, erlebe ich eine von zwei Reaktionen: Entweder kennen die Leute Gravis nicht - oder sie haben eine Geschichte zu erzählen. "Ach, da habe ich früher immer meine - gekauft". Oder: "Ach, so ein Laden ist bei uns um die Ecke, der ist da schon ganz lange." Gravis löst Emotionen aus und macht etwas mit den Menschen. Das ist etwas Besonderes, das hat mich an der Marke gereizt.
Und natürlich ist der Lifestyle-Hintergrund hilfreich, um zu verstehen: Wie relevant ist Apple für dein Leben? Welche Accessoires willst du haben? Welche brauchst du vielleicht nicht? Wie willst du arbeiten? Wie kannst du Sport machen? Wie kannst du deinen Leben - auch unabhängig von Apple - smart gestalten. Also ich finde, dass mein Lifestyle-Hintergrund hervorragend zu Gravis passt.

Welche Veränderungen im Konsumverhalten in den letzten Jahren hat sie am meisten beeindruckt? Was sind Ihre Ideen, um sich in den nächsten fünf Jahren zu entwickeln?

Ich glaube, wir sind gut aufgestellt, wenn wir immer wieder in unsere Verkäuferinnen und Verkäufer und den Service am POS investieren. Dazu ist wichtig, dass unsere Läden optisch mit der Zeit gehen: Sie sollen einladend sein und schon beim Betreten die persönliche Wohlfühlatmosphäre herstellen, die unser Service bietet.
Ganz wichtig: Wir müssen den Menschen auch immer wieder Gründe geben, um von ihrem Sofa runterzukommen. Zu sagen: "Das will ich unbedingt einmal hören oder anfassen." Eine Soundbox im Laden zu hören, ist zum Beispiel ein ganz anderes Erlebnis, als das Ding mal kurz auf dem Küchentisch aufzubauen. Außerdem wird das richtige Sortiment ein wichtiger Schlüssel für unsere Markenidentität bleiben.
Entscheidend wird aber am Ende immer wieder der Berater sein, der sich sehr gut auskennt, die richtigen Fragen stellt und eben im entscheidenden Moment auch mal ganz ehrlich sagt: "Diese Funktion haben Sie doch schon - ich zeige Ihnen mal was anderes" - eine solche Beratung ergibt dieses sehr persönliche und vertrauensvolle Einkaufserlebnis.

Gravis - das Unternehmen

Die Gravis EDV Vertriebs GmbH wurde 1988 von den beiden Berliner Studenten Archibald Horlitz und Wilfried Gast gegründet - damals noch als Tochtergesellschaft des Apple Systemhauses HSD GmbH, das sich mit der Integration von Apple-Produkten in IT-Infrastrukturen beschäftigte.
Inzwischen hat sich aus den kleinen Mac-Läden Deutschlands größter auf Apple spezialisierte Retailer und führender autorisierter Serviceprovider geworden. In rund 40 Stores bietet Gravis das vollständiges Apple-Sortiment sowie eine Vielzahl an weiteren Marken, inklusive der Eigenmarke Networx, an.
Ein Meilenstein auf dem Weg dorthin war im Jahr 2013 die Übernahme von Gravis durch die Freenet-Tochter mobilcom-debitel.
2023 startet Gravis einen umfassenden Relaunch mit neuer Markenidentität, neuem Logo, erweiterter Zielgruppenausrichtung und einem geschärften Produktportfolio. Gravis will sich damit als Premium Technik-Ausstatter mit überdurchnschittlicher und unabhängiger Beratungskompetenz positionieren.

Machen Sie sich manchmal Sorgen um die Besucher-Frequenzen in den Innenstädten?

Auf jeden Fall. Es wäre naiv, sich keine Gedanken zu machen. Wir sehen Veränderungen - mal zum Guten, mal zum Schlechten. Ganz oft können wir auch selbst nicht erklären, warum das so ist. Im Moment sind wir sehr happy mit den Frequenzen. Wir versuchen auch immer wieder zu messen, was die Leute in unsere Läden zieht. Wie kommen die auf uns? Sind sie zufällig gekommen oder gezielt hergefahren? Haben sie vorher gegoogelt? Fast alle unsere Läden sind in Innenstadtlagen. Das muss man ganz klar im Auge behalten.
Ich denke aber, solange wir den Leuten einen guten Grund geben, setzen sie sich auch in Zukunft in Bewegung und fahren in die Stadt. Es ist eben leider nicht so, dass man sich auf dem Weg zum Rossmann noch mal kurz einen Rechner kauft.

Alle reden derzeit von KI - welchen Stellenwert hat das im Retail Marketing?

Wir nutzen KI für alles, was mit Text zu tun hat. Das ist nicht so, dass wir keine Texter und Texterinnen mehr beschäftigen. Ganz im Gegenteil. Aber man kann da schon einmal eine Headline reingeben und gucken, was rauskommt. Ob wir das dann so drucken würden, ist eine andere Frage. Aber als Inspiration für kreative Prozesse funktioniert das auf jeden Fall.
Personalisierung und Individualisierung ist ein anderer Themenbereich, den wir beobachten. Wir werden aber nicht versuchen, unseren USP "persönliche Beratung" damit zu ersetzen.

Gerade Beratung - ist das nicht ein Thema, das eine KI bald besser erledigen kann?

KI kann natürlich den Prozess erleichtern. Es ist absolut beeindruckend, was die Anbieter da heute schon alles können. Trotzdem weiß ich von mir selbst: Wenn ich in einen Laden komme, mich der Verkäufer wiedererkennt und fragt: "Wie war das noch mit der Bachelorarbeit? Hat das noch geklappt?" - dieses Gefühl wird keine KI der Welt ersetzen.

Marketing braucht Daten. Wie gehen Sie mit dem Konflikt um, einerseits Daten sammeln zu wollen, um eine gute User Experience bieten zu können. Andererseits aber zu wissen, dass gerade das Sammeln von Daten keine gute User Experience ist?

Wir lassen den Besuchern immer die Wahl. Der Kunde muss selbst entscheiden können, ob er uns Daten geben möchte oder nicht.
Wir machen lediglich Angebote und bleiben unaufdringlich. Wer unerkannt surfen will, kann das tun. Das finde ich genau richtig. Es ist die Rolle des Marketers dann zu sehen, was er mit den Daten machen kann. Ich will auf keinen Fall den Eindruck erwecken, dass an irgendeiner Stelle die Freiwilligkeitsgrenze überschritten wird.

Aber im Ergebnis haben Sie viel weniger Daten. Erschwert das Ihre Arbeit?

Wir merken natürlich, dass wir weniger Daten haben. Insbesondere, weil man ja wahnsinnig gerne irgendwelche Kennziffern mit dem letzten und vorletzten Jahr vergleichen will. Das ist schwierig, wenn sich die Datengrundlage massiv ändert. Aber ich bleibe dabei: Der Kunde entscheidet, welche Daten er uns geben will.

Das Thema Nachhaltigkeit ist ein wichtiges Thema für Apple. Auch für Sie? Was kann der Handel beitragen?

Das ist ein Riesenthema bei uns. Unser wichtigster Beitrag liegt darin, dass wir Geräte in der Regel reparieren, statt sie zu ersetzen. Wir sind autorisierter Apple-Service-Provider und haben in jedem Laden ein Reparatur-Center, in dem wir Geräte reparieren und aufrüsten oder Akkus und Displays tauschen. Das macht einen wichtigen Anteil unseres Geschäfts aus.
Dazu kommt, dass Apple-Geräte eine sehr lange Lebensdauer haben. Man muss man schon viel falsch machen, damit so ein Rechner schon nach zwei, drei Jahren kaputt ist. Und auch unsere Abo-Modelle sorgen dafür, dass die Geräte lange im Einsatz bleiben und am Ende im Kreislauf verbleiben und weiter verwertet werden. Darüber hinaus achten wir auch auf die Nachhaltigkeit unserer Zubehörprodukte. Wir haben zum Beispiel eine eigene Produktlinie, die zu 30 Prozent aus Strohfasern hergestellt wird. Die Lieferketten unserer Lieferanten müssen ebenfalls stimmen. Es sind vielleicht nicht unwahrscheinlich viele Dinge, die ein Händler beitragen kann. Aber was wir an unserem Ende tun können, das machen wir - aus Überzeugung. Und weil es unseren Kunden wichtig ist.

Was ist die größte Herausforderung im Marketing für Händler? Für Sie persönlich, für die Marke Gravis und für den Rest der Branche?

Wahrscheinlich eine Mischung aus vielen Dingen, die wir schon angesprochen haben. Akut ist im Moment die Kaufzurückhaltung bei Produkten, die nicht unbedingt gebraucht werden. Das kann ein Marketer nur ganz schwer beeinflussen - jedenfalls nicht nachhaltig und auch nicht besonders respektvoll und authentisch. Insofern muss man versuchen, sich im Gespräch zu halten, attraktiv zu bleiben, auf die Besucherfrequenzen zu achten - und im richtigen Moment wieder da zu sein.

Das Gespräch führte Dominik Grollmann

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