15.05.2019 - Vor zwei Monaten haben wir es prognostiziert ("Der Tipping-Point im E-Commerce ist da" ), jetzt kommt sie: Die Nachunternehmerhaftung in der ECommerce-Logistik. Denn die Große Koalition hat sich gestern Nacht nach mehrstündigen Beratungen unter anderem auf ein Gesetzespaket verständigt, mit dem bessere Arbeitsbedingungen in der Paketbranche durchgesetzt werden sollen.
von Joachim Graf
Konkret sollen die Versandunternehmen verpflichtet werden, Sozialbeiträge für säumige Subunternehmer nachzuzahlen. Denn viele Paketdienste arbeiten nicht mit fest angestellten Zustellern, sondern mit Subunternehmern, die für ihre häufig ausländischen Fahrer neben einem niedrigen Lohn oft auch keine Sozialbeiträge zahlen. Mit dem geplanten Gesetz sorge die Koalition "für Beitragsehrlichkeit, die soziale Absicherung aller Paketzusteller und zugleich für einen fairen Wettbewerb", heißt es in einem Ergebnispapier der Koalitionsrunde.
Wirtschaftsminister Peter Altmaier
(CDU
) hatte den Vorschlag für die sogenannte Nachunternehmerhaftung zunächst scharf kritisiert. Die großen Lieferunternehmen gehen durch die neue Regelung bei der Beschäftigung von Subunternehmern ein Risiko ein - denn sie müssen kontrollieren, ob ihre Vertragspartner die gesetzlichen Bedingungen einhalten.
Tatsächlich macht die Politik hier nur ihren Job, das Problem ausgelöst haben andere: Die Onlinekäufer, die Zalandos "Schrei vor Glück oder schicks zurück" als Digitalversion des 'Geiz ist geil' verinnerlicht haben und keine Versandkosten akzeptieren. Die (großen) Onlinehändler, die die Preise der Paketdienste in den Keller verhandelt haben. Die Paketdienstleister und ihre Subunternehmer, die an der einzigen Stelle sparen, die ihnen einfällt: Bei Subunternehmern und deren Mitarbeitern.
Denn der Wettbewerb wird künftig laut Andreas Schumann
, Vorsitzender des Bundesverbands der Kurier-Express-Post-Dienste e.V. (BdKEP)
, vor allem bei Effizienzsteigerungen auf der letzten Meile im Paketsegment geführt: "Die wichtigste Strategie dabei ist Bündelung von Sendungsmengen. Andererseits werden zusätzliche Erlöse über neue Serviceangebote realisiert. Der Zugang zu den Empfängerpräferenzen - Wann wollen Empfänger was wohin geliefert bekommen bzw. abholen? - wird zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor." Es werde sich zeigen, "ob sich neben den proprietären Plattformen globaler Onlinehändler auch föderative mittelständisch geprägte Plattformen als Alternativen entwickeln."
Im globalen Ranking ist Deutschland von Platz 9 auf Platz 16 in der Rangliste der am besten für das Onlineshopping gerüsteten Länder abgerutscht, wie die UN-Organisation für Handel und Entwicklung (Unctad
) bekannt gegeben hat. Gemessen wird in dem Report etwa, wie schnell Ware geliefert wird und wie berechenbar der Liefertermin ist. Für das Gesamtbild zählen auch die Rate der Internetzugänge und die Dichte der sicheren Server. Grund: Probleme bei der Zustellung. Carsten Hansen
, Leiter Innenstadtlogistik beim Bundesverband Paket & Expresslogistik e.V. (BIEK)
, schätzt die aktuelle Lage trotz Problemen positiv ein: "Die Zustellung klappt". Doch auch er sieht Herausforderungen: "Der anhaltende Fahrermangel und die Flächenknappheit für logistische Nutzungen werden beim immer weiter steigenden Sendungsaufkommen noch spürbarer. Ladezonen, Mikro-Depots oder Standorte für anbieterübergreifende Paketstationen gibt es noch viel zu wenige."
Neben den Problemen mit dem fehlenden und schlecht ausgebildeten Personal ist es vor allem die schiere Paketmenge. Das wiederum macht vor allem Probleme durch die langen Wege, die die Pakete zurücklegen müssen, wenn sie bereits in der Obhut des einzelnen Zustellers sind. Angehen kann man das Problem durch neue, verbrauchernahe Logistikzentren - das reduziert Wege und lässt Zustellsysteme zu, die auf straßenbefreiende E-Bikes setzen. Doch für solche innovativen neuen Logistikkonzepte fehlt es vor allem an einem, wie mir in den vergangenen Wochen immer wieder von Insidern berichtet wurde: an Gewerbeflächen, möglichst in Innenstadtlage. Hier sind die Stadtverwaltungen gefordert. Sie haben es in der Hand, dem Lieferinfarkt zu begegnen.
Inzwischen wird immer deutlicher: Das gegenwärtig vom Online- und Versandhandel praktizierte Logistikmodell des Preisdumpings auf dem Rücken der Zusteller muss sich ändern. Nicht zuletzt deswegen, weil es zum einen zu wenig Zusteller gibt, die sich ausbeuten lassen und weil zum anderen die deutsche Politik in absehbarer Zeit auf irgendeine Art dafür sorgen wird, dass es den Zustellern besser geht. Und sei es, dass der Mindestlohn erhöht wird. Verstopfte Innenstädte und miserable Ökobilanz tun das ihre für den wachsenden Druck auf die Branche.
Die Nachunternehmerhaftung wird diesen noch erhöhen.
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