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Die Geschichte eines Erfolges. #heimkommen und die Zutaten viraler Werbung

02.02.2016 - Vergangene Woche stellten der Industry Leader Creative Agency bei Google Oliver Rosenthal und Jung von Matt-Vorstand Thomas Strerath die erfolgreichsten Youtube Videos des vergangenen Jahres vor. Der Edeka-Spot #heimkommen führte die Liste an. Welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen, was hierzulande einen erfolgreichen Werbespot ausmacht?

Das "YouTube Ads Leaderboard" ist die Rangliste der beliebtesten YouTube-Anzeigen des Jahres. Die Top Ten, die unter anderem auch als "Trueview" liefen, also nach fünf Sekunden übersprungen werden konnten, wurden von einer Google-Studie auf ihre Erfolgsfaktoren hin untersucht. Die Studie heißt "TrueView Creative Guidelines, Google, Juni 2015" und unterscheidet, welche Faktoren dafür entscheidend sind, den Betrachter gleich zu Beginn des Spots für den Content zu interessieren.



Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass insbesondere die Merkmale "Humor", das "Mitwirken von Prominenten" sowie "Animationen" relevant sind, um den Betrachter zu fesseln. Dies sind jedoch nicht nur Erfolgsfaktoren, die bei den deutschen Konsumenten gut wirken, sondern stellen auch Erfolgsverheißungen für das internationale Publikum dar - dies zeigen internationale Rankings wie der alljährliche "Gunn Report" aus Großbritannien. Doch reichen diese Kriterien aus?





Animationen fesseln Aufmerksamkeit
In vielen Punkten scheint die Liste der auf dem deutschen Youtube populärsten Werbespots dem dem zu entsprechen, was auch international bestens funktioniert. Oliver Rosenthal resümiert: "Humor und Animationen gehen immer." Dies gilt offensichtlich auch für den deutschen Werbemarkt. Die führenden Spots der Youtube-Bestenliste illustrieren diese Verteilung. So setzen drei der besten Werbespots, allerdings auf den hinteren Plätzen, auf animierte Elemente. Nämlich der Clip "Verstand, der in die Luft fliegt" der Körperpflege-Marke Old Spice, "Weihnachten ist in Dir" des Handelsunternehmens Otto sowie "Schmerzagenten" des Arzneiherstellers Voltaren.



Die Beliebtheit von Animationen schlug sich auch in dem kürzlich erschienenen "Gunn Report 2015" zu den Trends der weltweiten Werbeindustrie nieder, der als "Most Awarded Film Commercial in the World 2015" den Sport "Monty´s Christmas" der britischen Kaufhandelskette John Lewis nannte. Dahinter steht die Agentur adam&eveDDB aus London. Den Mittelpunkt der Geschichte bildet ein animierter Pinguin, der mit einem kleinen Jungen zusammen Weihnachten entdeckt und eine Gefährtin findet.



Die übrigen sieben Werbefilme der Youtube-Hitparade setzen allerdings ausschließlich reale Schauspieler in Szene und versuchen sogar, etwa am Beispiel von Fixodent/Blend-a-dent auch über Dokumentarisches Authentizität zu gewinnen. So zeigt der Clip "Saving Aslan" die geglückte Zahn-Operation des weißen Löwen Aslans im Kevin Richardson Wildlife Sanctuary in Süd Afrika als Reality Soap in Kleinformat.

Auch der beeindruckende Spot "A Message to Space" setzt auf den dokumentarischen Realitätseffekt. Während allerdings in "Saving Aslan" die Marke als solche kaum sichtbar ist, sondern ganz auf thematische Nähe zwischen Zahn-OP und Zahnpflege gesetzt wird, ist die Marke Hyundai in "Message to Space" geradezu omnipräsent.






Ein Asset, das in der Youtube-Bestenliste nicht vorkommt, aber dafür in den internationalen Bestenlisten auch dieses Jahr wieder vertreten ist, ist der Hang zum Epischen, zum Pathos großer Traditionsmarken. Zum Beispiel, indem die große Tradition einer Marke ins Bild gesetzt wird. Darauf ist etwa in dem im Gunn Report zweitplatzierten Spot "100", den F/Nacza Saatchi & Saatchi für den Fotografie-Konzern Leica drehte, offensichtlich ein großes Budget verwendet worden. Es geht um die Geschichte der modernen Fotografie im Spiegel des Unternehmens Leica und lässt Bilder collagenartig Revue passieren.



Allerdings ist dieser Traditions-Pathos selten frei von einer humoristischen, das Pathos leicht brechenden Nuance - so etwa der sehenswerte Spot "Life ist... good", den Dodge zusammen mit 100-Jährigen US-Amerikanern drehte, um das Jubiläum seiner Marke zu feiern. Der Spot wurde während des Superbowls 2015 ausgestrahlt. Am Ende wird hier die Altersweisheit in ein jugendlich wirkendes Rock 'n´ Roll-Lebensgefühl gewendet. Wenngleich die Youtube-Bestenliste das nicht wiederspiegelt, gibt es diese Art von Werbestrategie auf dem deutschen Markt natürlich auch, wenn etwa hin und wieder eines der deutschen Traditionsunternehmen auf seine Pionierrolle in frühen Tagen einer Technologie verweist.








[s2]Viele Spots setzen auf Humor
Etwa die Hälfte der Spots setzten auf humorvolle Inhalte, die mitunter von Prominenten vorgetragen werden. So zum Beispiel die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) mit dem bei Youtube gut platzierten Werbefilm "Is mir egal" des Rappers Kazim Akboga, der durch die Casting-Show "Deutschland sucht den Superstar" berühmt wurde. Akboga nimmt hier als Kontrolleur der BVG die Kamera mit auf eine Expedition in den Berliner Großstadt-Dschungel mit all seinen exzentrischen Gestalten. Alles wird toleriert, nur nicht, wenn die Fahrkarte fehlt, so die Botschaft.



Doch auch auf den vordersten Plätzen sind humorvolle Werbefilme vertreten. Im Youtube Ads Leaderboard schafften es "Dorfdrift" von Edeka (Platz zwei), eigentlich ein relativ vorhersehbarer Plot über einen rasenden Traktor, der möglicherweise von der Aufmerksamkeit profitierte, die die Kampagnen des Handelsunternehmens insgesamt erhielten. Auch der Spot für das Schmerzmittel Voltaren mit dem Titel "Tänzerin Lola" (Platz drei), zeigt auf witzige Art und Weise, wie eine Tänzerin mit Rückenschmerzen sich ausmalt, dass ihre Rolle von einer Putzfrau übernommen wird.



Dieser Erfolg schließt nahtlos an internationale Werbeerfolge an. Dies kann man etwa bei den alljährlichen Werbespots während des Superbowls sehen, wo humorvolle Entertainment-Formate in der Überzahl sind. Und auch das im Gunn Report 2015 drittplatzierte Werbevideo "#TBT Bites" von BBDO New York für den Schokoladenriegel Twix Bites setzt auf eine humorvolle Parforce-Tour durch die vergangenen Jahrzehnte seit der Einführung des Schokoriegels.






So lässt sich erkennen, dass viele Agenturen glauben, Kunden am besten mit origineller Unterhaltung interessieren zu können, mit Entertainment also. Dies sieht auch Thomas Strerath so, Vorstandsmitglied bei der Agentur Jung von Matt (JvM), die allein mit den Edeka-Spots

in diesem Jahr wieder die erfolgreichsten Werbevideos stellten. Strerath unterscheidet bei der Präsentation zwischen drei grundsätzlichen Alternativen, vor denen die Rezeption eines Werbespots stehe: Unterstützen ("help content"), Unterhalten ("hero content") und Untergehen, also nicht wahrgenommen zu werden.



Da die dritte Alternative für das werbende Unternehmen nicht in Frage komme, müssten die Firmen grundsätzlich eine Entscheidung zwischen unterstützender Information oder Entertainment treffen. Auf dieser Grundsatzentscheidung basiert dann die Wahl zwischen klassischen Storytelling-Formaten, wie Animationen, Humor und Prominente. Auch hier komme es aber zusehends auf die Art und Weise der Umsetzung an. Denn aufgrund des Überangebots komme es zum "Content-Clash", sagt Strerath: Dem Konsumenten stehe täglich etwa elf Stunden Medien-Konsum zur Verfügung. Das reiche aber nicht für den angebotenen User-generated-Content. Dieser sei daher in der Krise. Qualität werde aber weiter konsumiert.



Als Negativbeispiel nennt der Jung von Matt-Vorstand beispielsweise die seiner Ansicht nach häufig einfallslose Werbung, wie sie etwa im Kino mitunter dargeboten werde. Diese folge dem Credo, möglichst viel Information in möglichst kurzer Zeit unterzubringen. Dies führe aber dazu, dass das Publikum sich langweile. Den Begriff "Kreativität", als Gegenbeispiel zu langweilig vermitteltem Content, will Strerath jedoch nicht benutzen. Ein wesentliches Qualitätsmerkmal liege für JvM nicht mehr in dem Bemühen, kreativ zu sein, sondern im gezielten Regelbruch. Strerath erklärt dies an dem viel diskutierten Spot, der in diesem Jahr die Youtube-Bestenliste anführte und den Jung von Matt für das Handelsunternehmen Edeka entwickelte, nämlich "#heimkommen".





[s3]Der Edeka-Spot "#heimkommen#": Regelbruch anstatt Kreativität
Der Inhalt des Spots, der inzwischen über 46 Millionen Views auf Youtube zu verzeichnen hat, dürfte inzwischen weitläufig bekannt sein. Darin geht es um eine zu Beginn sehr traurige Geschichte, die jedoch am Ende in ein versöhnliches Szenario umschlägt: Ein alter Mann wird zu Heiligabend von seiner Familie allein gelassen und inszeniert seinen eigenen Tod, um die über die Welt verstreuten erwachsenen Kindern dazu zu bewegen, nach Hause zu kommen. Die Trauer um den Vater schlägt schließlich um in Versöhnung und Dankbarkeit.



Strerath erkärt den Erfolg von #heimkommen mit dem Prinzip des Regelbruchs: JvM habe hier Tabus wie Einsamkeit im Alter und das Inszenieren des eigenen Todes gebrochen. Neben diesen inhaltlichen Tabubrüchen sei es aber auch ein Regelbruch hinsichtlich der finanziellen Ausstattung gewesen. So lässt Strerath durchklingen, dass in den Edeka-Erfolgsspot ein massives Investment geflossen sei. So wurde unter anderem der Song "Dad" eigens für den Spot von Florian Lakenmacher komponiert und von der Berliner Sängerin Neele Ternes interpretiert. Zudem wurde auf das Casting der Schauspieler großen Wert gelegt und der britische Interpret des Großvaters, Arthur Nightingale, sogar auf Deutsch nachsynchronisiert.



Strerath sieht die "exorbitante" Investition, die Edeka mit dem Spot gewagt habe, als einen notwendigen Regelbruch. Investitionen sollten aber nicht nicht nach dem Gießkannen-Prinzip erfolgen, um auf allen Kanälen präsent zu sein, sondern müssten konzentriert erfolgen. Der JvM-Vorstand spricht von Fragmentierung und nennt als Beispiel die Marke Apple, die etwa keine eigene Facebook-Seite habe, aber trotzdem zu den wertvollsten Brands der Welt gehöre, weil sie auf eigene Kanäle setze.






[s4]Das Geheimnis eines viralen Erfolges
Bei seiner eingangs erwähnten Forderung, Werbung müsse entweder Entertainment oder Unterstützung liefern, sonst sei sie zum Untergang verdammt, erklärt Strerath den Erfolg von #heimkommen mit dem Oberbegriff Entertainment. Er verweist auf die vielen Kommentare bei Youtube, die den Clip als "Hollywood-Film in 1:46 Minuten" lobten. Jedoch fällt auf, dass #heimkommen keine der unterschiedenen Storytelling-Formate, nämlich Animationen, Prominente, Humor und Episches, verwendet. Der Begriff "Entertainment" kann den Erfolg des Clips also nur unzureichend erklären, wenn man ihn nicht überstrapazieren will. Insofern wahrt Strerath das Geheimnis des Erfolges der Kampagne. Worin besteht dieser virale Erfolg also wirklich?



Zunächst ist festzuhalten, dass #heimkommen natürlich auch, betrachtet man die gängigen Erfolgsgeheimnisse der Branche, ein Risiko darstellte. Denn der elegisch-traurige Beginn des Spots ruft ja auch die bittere Wahrheit ins Gedächtnis, dass gerade zu Weihnachten viele ältere Menschen tatsächlich allein waren, ohne Hoffnung auf ein Happy End, wie im Film. Und die Youtube-Kommentare berichten von fließenden Tränen nach dem Spot. Hier wird also im Grunde gegen die ehernen Regeln erfolgreicher TV-Werbung verstoßen und der Betrachter eher erschüttert als unterhalten zurückgelassen.



Zwar setzen auch international - gerade zu Weihnachten - viele Spots auf das Prinzip menschlicher Rührung (ein gutes Beispiel ist hier die britische Marke John Lewis, die jedes Jahr einen auf Rührung setzenden Werbefilm veröffentlicht). Jedoch ist der Realismus von #heimkommen sehr viel größer, als die auf Animationen setzende John-Lewis-Idylle.



Hier liegt dann auch der Tabubruch, von dem Strerath spricht. Werbung maßt sich an, gesellschaftliche Tabus anzusprechen, was dem Entertainment-Begriff im alltagssprachlichen Sinne widerspricht. Aber hier liegt dann auch wieder die Chance. Denn indem der Spot in sehr drastischen Sinne ein Tabu wie Alterseinsamkeit ins Bild setzt und Betroffenheit im Betrachter auslöst, kann die Lösung existentieller zeitgenössischer Probleme am Ende des Werbefilms auf die Marke projiziert werden. Und dass, obwohl die Produkte des Einzelhändlers im Spot keine offensichtliche Rolle spielen. Dass viele ältere Menschen ja gerade deshalb von Ihren Angehörigen allein gelassen werden, weil die Konsumgesellschaft - nicht zuletzt katalysiert durch die Werbung - ihre Angehörigen durch unbefriedigte materielle Sehnsüchte in die Ferne zieht, macht den zynischen Beigeschmack dieses Spots aus.



Sicherlich ist es auch nicht ganz ein Zufall, dass #heimkommen gerade in Deutschland so erfolgreich war. Zwar weiß nicht einmal Youtube selbst wohl exakt, wie viele Einzelpersonen, und noch dazu wie viele nationale Klicks hinter den 46.379.937 Aufrufen des Werbefilms stehen. Berichterstattung gab es zwar international, jedoch erscheint diese im Ausland etwas distanzierter und benennt auch in der Mehrzahl den Erfolg des Spots als ein spezifisch deutsches Phänomen.



Zudem ist der Spot in der Presse mitunter als ein Nachholen gegenüber der angelsächsischen Werbeindustrie gesehen worden, die seit langen auf besonders emotionale Werbespots zu Weihnachten setzt. Dies kann jedoch allenfalls die halbe Wahrheit sein. Denn wenn man vergleicht, fällt auf, dass beispielsweise amerikanische und britische Clips in der Regel bei weitem nicht so düster sind.



Wahrscheinlich ist ein Punkt derjenige, dass im zeitgenössischen, kriselnden Europa Werte wie Familie an Relevanz gewinnen. So setzt auch der spanische Weihnachts-Spot "Feliz Día de la Madre" auf das Prinzip Rührung. Gerade in Deutschland wird das Weihnachtsfest aber auch mit einer spezifisch-deutschen Innerlichkeit verbunden, die Jahrzehnte lang eher Unbehagen in jüngeren Generationen ausgelöst hat. Dass dies auch heute noch teilweise so ist, dafür sprechen die unzähligen Parodien, die inzwischen bei Youtube kursieren - etwa von den Entertainern Joko und Klaas sowie Starfriseur Udo Walz.






Gerade im letzten Jahr haben sich deutsche Medien intensiv mit dem Begriff "Heimat" auseinandergesetzt. So widmete die ARD der Frage, "Was bedeutet Heimat" Ende letzten Jahres eine Themenwoche. #heimkommen greift dieses zeitgenössische Thema auf und gibt seine eigene Antwort: Heimat ist eben zuhause, im Kreis der Familie. Das Edeka diese Auflösung mit seiner Marke verbinden kann, ist die Originalität des Spots.



Dass JvM diese spezifische Innerlichkeit erfolgreich und quasi unbemerkt in einen Werbefilm gegossen haben, der gerade auch bei einem jüngeren Publikum gut angekommen ist, mag der eigentliche Regelbruch dieses Clips sein.



Als Fazit könnte man festhalten, dass einige Faktoren, wie Animationen, Humor, Prominente und Episches relativ zeitlos und international zu funktionieren scheinen. Der Erfolg von #heimkommen scheint aber in gewissen Maße auch der Schlussfolgerung der Google-Studie zu widersprechen, denn #heimkommen ist weder humorvoll, noch mit Prominenten oder Animationen besetzt. Hieran scheint sich zu zeigen, dass nationale und zeittypische Eigenheiten zudem immer auch einen Gestaltungsspielraum eröffnen, der zu exorbitanten, viralen Erfolgen führen kann. (sg)

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