16.12.2021 - Seit sieben Jahren verantwortet Martin Drust die strategische Markenführung des FC St. Pauli, Zweitliga-Herbstmeister und vor dem Aufstieg in die 1. Bundesliga. Ein Gespräch über eine klare Haltung und gemeinsame Werte als Markenfundament, die Mitbestimmung von Fans als wichtiger Treiber einer co-kreierten Marke, Strategien für First-Party- Daten und Ziele im datengesteuerten Marketing.
von Frauke Schobelt
In dieser Saison läuft es richtig gut für den FC St. Pauli
: Derby-Gewinn, Tabellenführung, die Aussicht auf den Aufstieg in die 1. Liga, vorzeitig Herbstmeister. Die Stimmung ist sicherlich prächtig am Millerntor?
Auf jeden Fall. Für uns ist das eine eher ungewohnte Situation, weil die Siege zurzeit auch so souverän sind. Das bin ich vom FC St. Pauli überhaupt nicht gewöhnt, obwohl ich seit über 30 Jahren regelmäßig zu den Spielen gehe und seit sieben Jahren hier arbeite. Das ist für uns ganz besonders.
Zahlreiche Markenwert-Studien belegen seit Jahren: Der FC St. Pauli ist eine sehr starke Marke - auch ohne Siegesserie. Als Fan des Fußballclubs feiert man natürlich die Gewinne, kann aber offenbar auch damit leben, wenn es nicht so läuft?
Nichts ersetzt sportlichen Erfolg. Aber ein Großteil der St.Pauli- Fans kann gut mit Niederlagen umgehen. Das heißt nicht, dass sie gerne verlieren. Aber es sagt viel über das Wesen der Menschen aus, die dem FC St. Pauli nahestehen. Studien belegen: Unsere Fans wissen, dass das Leben ein Auf und Ab ist. Fußballspiele dienen ihnen nicht dazu, Eskapismus zu betreiben oder eigene Misserfolge durch den sportlichen Erfolg des Fußballclubs zu kompensieren. Das findet man bei uns kaum.
Weshalb gehen sie dann ins Stadion?
Unsere Fans gehen ins Stadion wegen ihrer Bezugsgruppen, wegen der Wertegemeinschaft, die sie hier finden, und natürlich auch wegen des Fußballs, ganz klar. Aber es ist ein St.Pauli- typisches Phänomen, dass sie nicht unbedingt Elfmeter geschunden haben wollen. Man möchte nichts geschenkt bekommen, weil man weiß, dass ein Misserfolg zum Leben eben dazugehört. Das lässt dann natürlich Erfolge noch viel süßer schmecken.
Was bedeutet dieser sportliche Erfolg für die Marke? Wie verändern sich gerade die Kennzahlen?
Wir hatten in den vergangenen Jahren relativ wenig nachhaltigen sportlichen Erfolg. Trotzdem sind alle Zahlen, die wir messen, sehr stabil geblieben. Wir wissen aus vielen Untersuchungen, dass der FC St. Pauli um seiner selbst willen gemocht wird und nicht, weil der Club jetzt besonders gut Fußball spielt. Trotzdem gibt es natürlich positive Effekte bei den Reichweiten, dem Engagement und weiteren Kennzahlen. Die Social-Media-Analyse zeigt das größere Interesse. Was klar ist, weil automatisch mehr Reichweite produziert wird.
Wie muss man sich das konkret vorstellen?
Es gibt eine regelmäßige Zusammenkunft, den ständigen Fanausschuss, der alle drei Monate bestimmte Fragestellungen diskutiert. Da geht es dann auch mal um Marketing und Vermarktung. Außerdem haben wir einen direkten Draht zum Fanladen, unserem Fanprojekt. Auch dort können wir Themen platzieren und abfragen, wie bestimmte Themen in der Fanszene wahrgenommen werden.
Kann man messen, was der sportliche Erfolg zur Markenstärke beiträgt? Wie macht sich das bemerkbar?
Das zu messen ist schwierig, bei Marken sind das eher mittelfristige Prozesse. Ob Fans einen Verein besonders gerne mögen, wird man nicht ändern, nur weil er ein Jahr lang mal richtig gut spielt. Ich glaube nicht, dass dies nachhaltig wirkt. Aber es hilft natürlich. Die Reichweite und die Relevanz verändern sich, weil die Aufmerksamkeit nach oben geht. Wir messen den Markenerfolg im Moment noch nicht. Wir arbeiten aber gerade an einem Dashboard, mit dem wir das in Zukunft messbar machen wollen. Heute schauen wir uns tagesaktuell an, was bei Reichweite und Engagement passiert. Oder wie sich die Zugriffe auf die Website und den Shop verändern. Da finden durchaus mehr Verkäufe statt. Das sind schon Phänomene, an denen man den sportlichen Erfolg ablesen kann.
Stichwort Marketing-Dashboard: Was ist da genau geplant? Woran arbeitet ihr gerade?
Dazu können wir aktuell noch nicht viel sagen, das ist ein laufender Prozess, die Verträge sind noch nicht unterschrieben. Grundsätzlich ist "Marke" für uns eigentlich ein ungeliebtes Wort. Technisch gesehen natürlich korrekt, aber wir sprechen lieber von Sinn oder Relevanz - also das, was Menschen mit dem FC St. Pauli verbinden. Wir sind dabei, die Markenführung in einem relativ langwierigen Prozess zu professionalisieren und uns dadurch neue Handlungsmöglichkeiten zu erschließen. Und das lassen wir wissenschaftlich begleiten.
Welche Handlungsmöglichkeiten erhofft ihr euch davon? Geht es auch um die Datenhoheit und First-Party-Daten?
Wir wollen die Basis der Menschen, die uns gut finden, verbreitern. Wir wollen möglichst viele von ihnen auf unsere eigenen Plattformen holen. Sie sollen nicht nur über Dritte - etwa über Social-Media-Kanäle - mit uns in Kontakt treten. Dafür brauchen wir möglichst viele Ideen in unserem eigenen Kosmos.
Wie gelingt euch das?
Der Profifußball ist unser Kerngeschäft. Aber ungefähr die Hälfte der Menschen, die den FC St. Pauli mögen - und das sind sehr viele in Deutschland - tut dies vor allem, weil der Verein für etwas steht. Weil er eine klare Haltung hat, weil er als sehr authentisch und glaubwürdig wahrgenommen wird. Der FC St. Pauli ist eine Wertegemeinschaft, die alle Mitglieder umfasst, alle Fans und SympathisantInnen, alle Mitarbeitenden, den Profifußball und natürlich auch unsere Amateursport-Abteilungen. Wir setzen uns für eine wertschätzende Welt, ein respektvolles Miteinander ein. Das ist der Kern unserer Marke. Diese Werte bekommen durch den Profifußball eine Bühne. Und je besser der Club Profifußball spielt und je höher die Liga, desto größer wird diese Bühne.
Gerade der FC St. Pauli muss aber auch einen Spagat meistern. Auf der einen Seite die Marke, die für Rebellion und Anti-Establishment steht, auf der anderen Seite der kommerzielle Erfolg, der nötig ist, um die eigenen Werte zu fördern und durchzusetzen. Wird dies in der 1. Fußball-Bundesliga schwieriger als in der 2. Liga?
Ich bin davon überzeugt, dass man sich da genauso treu bleiben kann. Wir sitzen ja im Fahrersitz. Nach einem Aufstieg in die 1. Liga sind ja nicht auf einmal alle vermarkteten Assets anders im Spiel. Die Dinge, auf die wir Einfluss haben, würden wir in der ersten Liga nicht auf einmal verändern - etwa ein Maskottchen haben, nur weil das mehr Geld bringt. Das Thema Haltung meinen wir ernst. Das hat mit der Liga nichts zu tun. Es gibt dort lediglich mehr Aufmerksamkeit.
Die Bindung der Fans an den FC St. Pauli ist enorm stark. Die Fankultur hat sogar ein eigenes Logo. Wem gehört eigentlich die Marke?
Formal gehört die Marke dem e.V. als Rechteinhaber. Aber die Marke - das sind die Fans. Der FC St. Pauli ist entstanden, weil Menschen ihn so gestaltet haben. Das ist seit 35 Jahren ein fortwährender Prozess. Was der Verein heute ist, hat niemand am Reißbrett erfunden. Das gilt auch für das Totenkopf-Logo. Der FC St. Pauli ist eine co-kreierte Marke. Es gibt sehr viele Beteiligte, die Einfluss auf die Außendarstellung des Clubs nehmen - nicht nur die Profis. Es ist im positivsten Sinne ein von vielen Menschen gestaltetes Miteinander.
Die Mitgliederversammlung stellte dafür am 4. September wieder wichtige Weichen, mit der Frauenquote und einer Satzungsänderung, die es ermöglicht, Haupt- und Ehrenamt zu mischen und so das Management zu stärken. Wie viel Mitspracherecht haben die Fans im Alltag? Ist das nicht auch eine Herausforderung?
Die Mitgliederversammlung ist das höchste Gremium des mitgliedergeführten Vereins FC St. Pauli. Alle, die im sogenannten Hauptamt arbeiten, haben die Aufgabe, das umzusetzen, was die Mitgliedschaft fordert. So kompliziert ist das nicht - im Gegenteil. Wir leben im Verein diese Wertegemeinschaft, die uns alle leitet - Fans, Mitarbeitende und auch unsere Sponsoren. Diesen Wertekanon haben wir über Jahre verinnerlicht. Die Mitbestimmung - der Albtraum vieler Markenführenden - ergibt bei uns ein stringentes Bild. Die Mitgliederversammlung bringt uns mit ihren Anträgen ja auch weiter. 2016 wurde beschlossen, das Merchandising auf Nachhaltigkeit umzustellen. In der Umsetzung ist das ein schwieriger Akt, hilft uns aber für die Zukunft sehr. Unsere neue Trainingskollektion wurde schon nachhaltig zertifiziert. Das hat die Weiterentwicklung des FC St. Pauli beschleunigt.
Die Mitbestimmung ist also eine Stütze für den Verein, da es diesen Konsens gibt, dieses Fundament für alle Entscheidungen?
Alles fußt auf dieser Basis. Wir haben sehr kluge Mitglieder, die uns natürlich auch fordern, indem sie schwierige Themen auf die Agenda bringen. Ich finde es immer wieder toll, wie es im großen Miteinander gelingt, daraus für den Verein etwas Gutes zu entwickeln.
Ist diese Art der Zusammenarbeit mit den Fans beim FC St.Pauli einzigartig? Gibt es etwas, was andere Marken daraus lernen können?
Das kann ich nicht so genau beurteilen. Grundsätzlich ist Teilhabe ein spannendes und gutes Konzept. Manche unserer Fans würden das vermutlich gar nicht so sehen, dass sie permanent und bewusst immer mitgestalten. Im täglichen Miteinander gibt es aber einen engen Austausch über verschiedene Schnittstellen.
Wie muss man sich das konkret vorstellen?
Es gibt eine regelmäßige Zusammenkunft, den ständigen Fanausschuss, der alle drei Monate bestimmte Fragestellungen diskutiert. Da geht es dann auch mal um Marketing und Vermarktung. Außerdem haben wir einen direkten Draht zum Fanladen, unserem Fanprojekt. Auch dort können wir Themen platzieren und abfragen, wie bestimmte Themen in der Fanszene wahrgenommen werden.
Wenn man selbst eine Idee grandios findet - bremst einen das manchmal aus?
Wir kommen immer wieder auf einen gemeinsamen Nenner durch unseren gemeinsamen Wertekosmos. Dadurch kommen viele Ideen gar nicht erst auf, die eine große Reaktanz haben könnten. Unsere Fans geben ein sehr differenziertes Feedback. Ich finde, wir haben sie ab und zu sogar zu wenig gefragt.
Die Fans sind also auch für das Marketing wichtige Ratgeber?
Genau. Wir sehen die Welt ja nicht anders als die Fans. Wir glauben an diese Utopie, dass es im Miteinander besser läuft, als wenn eine Person alles alleine entscheidet. Das ist wichtig, um die Marke des FC St. Pauli zu verstehen: Wir ringen mit allen Entscheidungen und darum, das Richtige zu tun. Auch Menschen, die nicht aus der Fanszene kommen, merken, dass sich der Verein dabei ernsthaft Mühe gibt. Das ist kein Marketing, das ist tatsächlich so.
Martin Geistert hat Ende Juli die Bereichsleitung Vermarktung übernommen, um Bernd von Geldern in seiner Gesamtverantwortung für den Geschäftsbereich Vertrieb zu entlasten. Wie sind Marketing und Vertrieb aktuell organisiert?
Wir haben die Vermarktung und das Marketing gebündelt. Dort werden die Themen rund um die kommerzielle Kommunikation mitentwickelt, auch die Kampagnen für Sponsoren und die Aktivierung. Ich kümmere mich vor allem um das Thema Marke, Markenführung, Markenarchitektur und die sich daraus ableitenden strategischen Fragestellungen. Und um die digitalen Produkte. Ich bin nicht mehr operativ beteiligt, sondern gebe die Rahmenbedingungen vor.
Diese Wertegemeinschaft müssen die Sponsoren mittragen. Die langjährige Partnerschaft mit Astra wurde in diesem Jahr um weitere zehn Jahre verlängert. Wie viel Mitspracherecht haben die Fans bei der Auswahl der Sponsoren?
Wir fragen sie natürlich nicht bei jeder Entscheidung. Das wird auch nicht erwartet. In der Fanszene ist das Verständnis groß, dass es auch Sachzwänge gibt, die unsere Entscheidungen mit beeinflussen. Für potenzielle, neue Sponsoren haben wir viele Checks, unter anderem einen CSR-Check. Wir schauen uns sehr genau an: Wer ist das? Was machen die? Gibt es etwas, was wir wissen sollten? Die Mitsprache fängt an, wenn wir das Gefühl haben, mit jemandem darüber sprechen zu müssen, ob eine Zusammenarbeit opportun ist. Unsere internen Checks sind aber mittlerweile so gut, dass das kaum noch nötig ist. Bestimmte Sponsoren-Kategorien sind auch durch die Vermarktungsrichtlinien untersagt. Weil der Verein so klar positioniert ist, kommen manche Firmen gar nicht auf die Idee, bei uns anzufragen.
Auch wenn jetzt die erste Liga winkt?
Wir sind bereits ausvermarktet, haben keine Rechte mehr frei. Wenn irgendeine Oligarchen-Marke mit viel Geld um die Ecke kommen würde, werden wir trotzdem sagen: Nein, Danke!
Die klare Haltung - auch gegen rechts - ist das Fundament der Marke FC St. Pauli. Beim Spiel gegen Dresden hat der Verein auf einem Banner den "Flyerservice Hahn" gegrüßt, eine erfundene Dialogmarketingfirma des Zentrums für politische Schönheit, das damit den Wahlkampf der AfD gestört hat. Kommen solche Aktionen aus dem Marketing? Wer ist da federführend?
Unser aller Aufgabe beim FC St. Pauli ist es, immer ein Momentum zu erkennen und dies dann auch schnell umzusetzen. Die Idee hatte unser Kollege aus dem Marketing Christian Prüss. Darüber haben wir dann in den entsprechenden Runden abgestimmt und das einfach umgesetzt. Innerhalb eines halben Tages war das klar.
Wie war die Reaktion?
Es ist explodiert, die Reaktionen waren durchweg positiv. Auch außerhalb unserer eigenen Kanäle. Da sind wir bei eigenen Aktionen eigentlich immer mit am reichweitenstärksten. Aber beim Zentrum für politische Schönheit hat alleine der Facebook-Post mehr als 50.000 Likes. Das war wieder so eine typische St.Pauli- Aktion, die auch außerhalb des Fußballs sehr gut funktioniert hat. Und ist ein gutes Beispiel für gewisse erratische Momente, die wir immer wieder brauchen für unser Markendepot. Damit die Menschen wahrnehmen, wofür wir uns klar positionieren - und das auch gerne mal mit einem Augenzwinkern. Das ist für unsere Arbeit sehr wichtig.
Die Mitgliederversammlung hat schon früh mehr Nachhaltigkeit eingefordert. Der FC St. Pauli ist hier Vorreiter und hat in diesem Jahr die eigene nachhaltige Teamkollektion DIIY (Do it improve youself)
auf den Markt gebracht. Zielt der englische Name in Richtung Internationalisierung?
Der FC St. Pauli ist aus der Subkultur des Punks entstanden, mit dem Motto "Do it yourself". Das findet hier seine Fortführung, mit "Do-it-improve-yourself". Das zielt klar auf die Performance- Orientierung der Teamsport-Kollektion. Was wir in der ersten Phase allerdings kommunikativ noch nicht überbetont haben. Das folgt in Zukunft.
Selber eine eigene nachhaltige Sporttextil-Kollektion auf den Markt zu bringen, ist nicht einfach. Was ist noch geplant mit der Marke?
Wir freuen uns, dass es funktioniert und ein wirklich erfolgreicher Business Case ist. Beim Thema Nachhaltigkeit sind wir allerdings keine Vorreiter im Profifußball, da sind andere Vereine schon weiter. Der VfL Wolfsburg etwa hat eine entsprechende Sustain- Club-Zertifizierung. Wir gehen das Thema vielleicht ein wenig anders an.
Was ist euch wichtig?
Wir wollen grundsätzlich eine Veränderung und sehen darin eine Chance. Im Merchandising haben wir ein schönes Motto, das uns auch hier leitet: "Not perfect, but better." Wir sind auf dem Weg uns nachhaltiger aufzustellen, aber das geht nicht von heute auf morgen. Das Motto ist deshalb sehr entlastend. Wir tun unser Bestes, aber es ist nicht einlösbar und auch nicht besonders motivierend, alles sofort perfekt machen zu müssen. Wir sind auf dem Weg und lassen uns dabei auf die Finger schauen.
"Improve yourself" also nicht nur im Profifußball und für Amateursportler, sondern für den gesamten Verein.
Genau. Wir haben mit DIIY einen wirklich guten Start hingelegt, und wollen die Marke nun weiterentwickeln und noch eigenständiger positionieren - als Performance-orientierte Teamsport- Marke, die nachhaltig ist.
Die Imbiss- und Gewürzmarke Kiezküche kommt ebenfalls aus eurem Haus, auch hier gibt es Expansionspläne. Wie sind DIIY und Kiezküche in die Markenfamilie integriert?
Wir begreifen uns eher als einen Markenkosmos. Darin gibt es nicht nur die eine Marke FC St. Pauli, sondern verschiedene Beteiligte. Das können auch Menschen sein, wie der Präsident - also alle, die in irgendeiner Form die Außendarstellung des FC St. Pauli beeinflussen. Das ist dieser Markenprozess, von dem ich gesprochen habe, den wir auch gerade wissenschaftlich begleiten lassen. Hier setzen wir eine Art co-kreierte Markenführung um. Jede dieser Marken richtet sich an bestimmte Zielgruppen und wird dann auch entsprechend gesteuert.
Purpose Marketing liegt gerade im Trend. Es gibt kaum ein Unternehmen, das aktuell nicht betont, wie klimaneutral es ist. Findest du diese Entwicklung grundsätzlich gut oder regt dich das auch auf - gibt es da zu viel hohle Luft?
Wenn es tatsächlich ernst gemeint und damit Haltung verbunden ist, wenn dadurch Konsequenzen entstehen und sich das Unternehmen wirklich nachhaltig verändern möchte, dann finde ich das grundsätzlich gut. Wenn es nur um Marketing geht, lehne ich das ab. In der heutigen globalisierten Welt ist es allerdings schwierig für mache Unternehmen, diese Veränderung tatsächlich zu gestalten. Das zeigte sich rund um die Euro 2020, als viele Firmen mit Regenbögen auf ihren sozialen Profilen warben, aber nicht in Ländern, in denen das Thema Diversität nicht so en vogue ist. Das funktioniert nicht. Grundsätzlich habe ich aber ein positives Menschenbild und unterstelle erst einmal gute Absichten.
Beim Thema Nachhaltigkeit kritisiert ihr nicht nur, sondern werdet mit "DIIY" selbst zum Hersteller. Wie wichtig ist dieses "Selbermachen" für das Selbstverständnis des Clubs?
Das ist einer unserer Leitsätze: Nicht nur meckern, sondern machen. Vor allem Dinge, die wir positiv beeinflussen können. Es steht uns nicht zu, anderen immer nur zu sagen, wie es richtig geht - der FC St. Pauli ist ein komplexes Unternehmen und muss selber zusehen, wie das gelingt. Auch das ist unsere DNA: Do it yourself. Da treffen derzeit auf gesellschaftlicher Ebene viele Entwicklungen aufeinander, die für uns im Moment sehr positiv sind.
Der FC St. Pauli ist ein Verein, der viel Wert legt auf das menschliche Miteinander und Kommunikation auf Augenhöhe mit den Fans. Aber auch über Daten und die Analyse kann man mehr über seine Zielgruppen herausfinden und diese gezielter ansprechen. Wie wichtig sind datengetriebenes Marketing und KI-gestützte Technologien für euch?
Wir sind ein Wirtschaftsunternehmen und nutzen natürlich die Möglichkeiten des datengetriebenen Marketings. Aber nicht, um die Leute auszuspähen oder sie mit zweifelhaften Methoden zum Kauf von Dingen zu bewegen, die sie nicht wollen und nicht brauchen. Wir nutzen es, um der richtigen Zielgruppe zum richtigen Zeitpunkt bessere Angebote machen zu können.
Soll das noch ausgebaut werden? Was ist in Zukunft geplant?
Wir wollen vor allem mehr verstehen, um daraus abzuleiten, was wir besser machen können. Etwa um guten Content auch außerhalb des Fußball-Kontextes zu entwickeln. Das ist uns wichtiger. Wir tracken im Vergleich zu anderen Unternehmen, die ihre Daten miteinander vernetzt haben, relativ wenig.
Wie gut gelingt es euch, die Daten zusammenzuführen?
Wir haben noch keine abschließende Haltung entwickelt, wie wir damit umgehen wollen. Definitiv sollen möglichst viele der Millionen FC.St.Pauli-Fans auch in unseren eigenen Datenbanken zu finden sein. Im Moment gelingt uns das noch nicht besonders gut, weil es in der Vergangenheit keine große Priorität hatte.
Der Einsatz von Technologien verändert Berufsbilder im Marketing. Manche sehen sie als Bedrohung. Oder sind sie eher Entlastung und Ergänzung?
Grundsätzlich empfinde ich die Technologien nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung, weil es dadurch mehr Insights gibt. Sie helfen uns zu verstehen, was Menschen umtreibt und was ihre Entscheidungen beeinflusst. Die Möglichkeit, Daten zu generieren und auszuwerten, ist jedoch nicht Mittel zum Zweck, sondern muss einem Plan folgen. Sie brauchen ein gewisses Setup, damit sie nützlich sind. Wir entwickeln zuerst eine Idee, beschäftigen uns zunächst mit der Strategie und Zielsetzung. Die Daten validieren das dann im besten Fall. So wie jüngst Warenkorb-Analysen die Ergebnisse aus einem großen Marktforschungsprojekt: Es gibt erstaunlich viele Menschen, die den FC St. Pauli als Wertegemeinschaft gut finden, sich aber eigentlich gar nicht für Fußball interessieren.
Auf der Suche nach mehr Sinnhaftigkeit in deiner Arbeit - so schilderst du es im Podcast Markenkraft
von Olaf Hartmann - hast du 2015 deine Position als preisgekrönter Kreativer in einer angesehenen Werbeagentur gegen den Marketingposten beim FC St. Pauli getauscht. Und damit einen hochdotierten Posten und durchgestylte Büros gegen "angekettete Kaffeekannen" und die Kiez- und Fußballwelt. Mit welchem Gefühl gehst du heute zur Arbeit?
Ich habe den Wechsel nicht einmal bereut. Es macht mir immer noch wahnsinnig viel Spaß, weil ich vor allem inhaltlich arbeiten darf, es ist immer wieder neu. Ich darf mit beeinflussen, wie sich der FC St. Pauli entwickelt. Das haben wir in den letzten Jahren tatsächlich ganz gut hinbekommen. Ich bin ja auch Teil dieser Wertegemeinschaft und lebe diese Werte. Das ist super. Aber es ist manchmal auch sehr anstrengend, weil das Geschäft so volatil ist, stark durch die sportliche Situation geprägt. Dieses Jahr werden wir unter dem Weihnachtsbaum sitzen und uns nicht darüber Gedanken machen müssen, in welcher Liga wir ab Juli spielen. Es ist schon ein sehr großer Unterschied, auch finanziell, ob man in der zweiten oder dritten Liga spielt.
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