Viele Fragen drehen sich ums Agentur-Game. Für MarketingentscheiderInnen wird es mitunter zum echten Kraftakt, genau die Agentur zu finden, die das Projekt passend und effizient auf den richtigen Kanälen umsetzt. Welche Agentur braucht mein Unternehmen? Till Oyen
, Mitgründer und Creative Director der Kölner Branding-Agentur Radikant
, gibt Insider-Einordnung aus der Agenturwelt preis.
Wenn verschiedene Denkmuster die Kommunikation erschweren
Man sollte meinen, dass die kommunikativen Disziplinen einander stark ähneln und eine Agentur eben eine Agentur sei. Doch dem ist nicht so. Die Unterschiede zwischen den Agenturtypen sind auch den Agenturen selbst oft gar nicht bewusst. Die eigenen Schwerpunkte erscheinen als der Standard, während die Herangehensweise anderer Agenturen teils schwer nachvollziehbar erscheinen.
Dabei ist es für Auftraggeber, Partneragenturen und weiter Beteiligte sehr hilfreich - sowohl für die Auswahl als auch für die spätere Zusammenarbeit - zu reflektieren, mit welchem mentalen Modell eine Agentur in ein Projekt kommt. Das Bewusstsein über diese Unterschiede können Markenverantwortliche nutzen, um sich das ideale Agentur-Dream-Team zusammenzustellen oder auch zu bestimmen, wer für welchen Aspekt den Ton angibt.
Agenturtypen: Stärken und blinde Flecken
Geprägt durch ihre Aufgaben, aber auch durch die Ausbildung haben verschiedene
Agenturtypen für ihre Arbeit unterschiedliche Erfolgskriterien. MarketingentscheiderInnen und Partneragenturen können sich an bestimmten, häufigen Mustern orientieren, um die entsprechenden Arbeitsweisen im Vorhinein besser einschätzen zu können.
So arbeiten die verschiedenen Agenturtypen:
- WerbeagenturenIn Werbeagenturen steht die Kreativität im Mittelpunkt - je spektakulärer und revolutionärer, desto besser. Allerdings bringt Kreativität auch den Wunsch mit sich, sie kontinuierlich anzuwenden und sich ständig zu übertreffen.
Markenführung in Unternehmen hingegen erfordert Kontinuität. Das bedeutet, dass Auftraggebende oder Strategen in den Werbeagenturen die Kunst beherrschen müssen, frische Ideen zu integrieren, ohne dabei konsistente Kommunikation aus den Augen zu verlieren. Im Kontext der Werbung entstehen häufig kleine, funktionierende Ideen und Details, die jedoch nicht immer nahtlos in den Gesamtauftritt der Marke übergehen.
Es gilt, Balance herzustellen. Das kann auf Unternehmensseite oder durch die Zusammenarbeit mit anderen Agenturen als Sparringspartner erfolgen.
- Corporate-Design-Agenturen
Corporate-Design-Agenturen legen ihren Fokus darauf, langfristige Gestaltungssysteme bereitzustellen, damit die Marke konsequent und stark auftreten kann. Hierbei gehen sie äußerst systematisch vor und Kunden, interne Stakeholder und die Anwender des Corporate Designs werden eingebunden. Darüber hinaus behalten Corporate-Design-Agenturen in der Regel den gesamten Medienmix im Auge, während beispielsweise Werbe- oder Social-Media-Agenturen keine großen Bedenken haben, wenn ihre Kampagne nicht zum Messeauftritt passt.
Jedoch wird hin und wieder von CD-Agenturen bei der Ausarbeitung Markenelemente zuweilen der eigentliche Kommunikationsinhalt und die Botschaft vernachlässigt. Das betrifft zum Beispiel die tatsächlichen Textlängen echter Produktnamen und produktspezifische Alleinstellungsmerkmale oder auch die tägliche Social-Media-Kommunikation. Platzhalter und Mock-ups werden diesen Fällen häufig nicht gerecht.
- Markenberatungen
Markenberatungen weisen eine erhebliche Schnittmenge mit Branding-Agenturen auf, sind jedoch stärker darin, die interne Überzeugungsarbeit in Unternehmen zu leisten. Sie widmen sich Fragen, die eher aus dem Marktgeschehen als aus der gestalterischen Sicht heraus beantwortet werden sollten. Ökonomisch richtige Lösungen stehen über gestalterisch reizvolleren.
Schwächen zeigen sich bei Markenberatungen, wenn es darum geht, Marken-Fachbegriffe in echte Kommunikation zu übertragen, ohne Kunden mit wirtschaftlichem Jargon zu überfordern. Viele Markenberatungen bieten zwar auch visuelle Gestaltung an, jedoch mangelt es aufgrund der geringen Anzahl an Designern in der Beratung oft an einem umfassenden und tiefen gestalterischen Wissen im Vergleich zu einer Corporate-Design-Agentur.
- Grafik- und Illustrationsstudios
Diese Büros sind die richtige Wahl, wenn es darum geht, einzelne Motive oder Einzelmedien wie Bücher, Magazine, Plakate oder Visuals besonders überzeugend und qualitativ hochwertig zu gestalten. Dabei liegt weniger Augenmerk auf unternehmensstrategischen oder systemischen Aspekten des Designs, gewisse Regeln des Corporate Designs werden weniger strikt eingehalten.
- Digitalagenturen
Das Feld der Digitalagenturen ist selbstredend groß: Zwischen der Website-Agentur, der Performance-Agentur und der digitalen Produktdesign-Agentur bestehen himmelweite Unterschiede. Was diese gemeinsam haben, ist ihre Ausrichtung auf das digitale Jetzt im Vergleich zu anderen Agenturtypen. Dadurch verstehen sie, wie die Markenkommunikation in der Praxis bei den Kunden ankommt.
Allerdings erfolgt oft eine starke Orientierung an aktuellen Trends. Dies kann dazu führen, dass markante Elemente einer Marke geglättet werden und von Digitalagenturen gestalteten Auftritte schnell denselben Blauton und ähnliche Illustrationsstile verwenden.
- Kommunikationsagenturen
Den verschiedenen Spezialisierungen, wie Krisenkommunikation, Influencer-Marketing, Pressearbeit, interne Kommunikation und Investor Relations haben ihre Ausrichtung auf die inhaltliche, textliche und sprachliche Gestaltung gemein. Im Vergleich zu Werbe- und Designagenturen zeichnen sich Kommunikationsagenturen durch eine bessere Beherrschung der Beziehungs- und Reputationsdimension in der Kommunikation aus: Sie setzen auf Dialog anstelle von Provokation.
Die handwerkliche Qualität anderer kommunikativer und visueller Disziplinen erreichen sie jedoch meist nicht. Die kreative Ausdrucksstärke, wie sie beispielsweise in einer Hornbach-Kampagne oder dem Erscheinungsbild von Merck zu finden ist, erfordert einen Disziplin-spezifischen Anspruch und Wissen, das in anderen Spezialgebieten stärker ausgeprägt ist.
Warum Full-Service-Agenturen meist nur eine Sache richtig gut können
Sind Full-Service-Agenturen die beste Wahl für Unternehmen, die in verschiedenen Kommunikationsbereichen überzeugen müssen? Hierzu werfen wir einen kurzen Blick auf die Disruptionstheorie von Clayton Christensen aus den 1990er Jahren.
Wenn ein Unternehmen ein Geschäftsmodell hat, das hervorragend funktioniert, erscheint es auf den ersten Blick wenig sinnvoll, Ressourcen wie Zeit, Geld und vor allem Aufmerksamkeit von diesem Modell abzuziehen und in neue, riskante und weniger profitable Bereiche zu investieren. Christensen argumentiert, dass in Konfliktsituationen in der Regel die etablierte Organisation die Oberhand behält und den Erfolg neuer Geschäftsfelder beeinträchtigen oder sogar untergraben kann.
Bei Agenturen läuft das ähnlich: Wenn eine Agentur durch einen neuen Ansatz, einen spezifischen Stil oder einen bestimmten Fokus erfolgreich wird, wird es für diese Agentur zu einem anspruchsvollen Unterfangen, gleichzeitig andere Ansätze und Denkweisen zu verfolgen.
Das Problem wird von vielen Führungskräften bestätigt: Die interne Aufmerksamkeit im Unternehmen ist nur schwer gleichmäßig aufteilbar. Es gibt Werbeagenturen und Designagenturen, die diese Herausforderung bewältigen können. Allerdings lehrt die Theorie von Clayton Christensen, dass kontinuierliches Arbeiten gegen die eigenen Anreizsysteme die Chancen auf nachhaltige Diversifizierung erheblich verringern kann.
Resümee: Full-Service-Agenturen vs. Spezialagenturen
Full-Service-Agenturen sind sinnvoll, wenn es eine klare Hauptdisziplin gibt, die für ein Unternehmen von großer Bedeutung ist, sowie Nebendisziplinen, bei denen durchschnittliche Expertise ausreicht.
Bei der Agenturauswahl sollten Auftraggeber nicht nur die Stärken der Bewerber berücksichtigen, sondern auch die möglichen Schwächen, die möglicherweise unbewusst bestehen. Wenn eine Agentur keine überzeugende Antwort auf die Frage hat, was sie nicht kann oder wovon sie weniger Ahnung hat als andere Agenturen, sind die Schwächen möglicherweise größer. Für anspruchsvolle Unternehmen, deren Strategie auf verschiedene Kommunikationsdisziplinen angewiesen ist, ist die Zusammenarbeit mit mehreren Spezialagenturen ratsam. Letztere muss jedoch über eine ausgesprochen kooperative Einstellung verfügen oder zumindest sehr gut über ihre eigenen Schwachstellen Bescheid wissen.
Bild: Radikant, Till Oyen
Till Oyen
ist Mitgründer und Creative Director der Kölner Branding-Agentur Radikant
. Er studierte Design in Köln und Zürich und absolvierte einen MBA. Radikant versteht sich als Corporate Design- und Markenagentur und unterstützt Unternehmen wie die Deutsche Telekom, die DEVK und UNICEF bei Brand Design Management und Markenentwicklungen.