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Glosse

Aus dem Tagebuch eines Agenturchefs (7): Das Medien-Interview

Wir blättern im Tagebuch von Andreas Haupt, Gründer, CEO und Zulangeschon-Chef der Agentur HAUPTGEWINN, der nach eigenen Angaben coolsten Agentur südlich des Polarkreises, der endlich lernt, warum Werber nicht werben. Zumindest nicht für sich selbst. Und gegen Geld. (Bild: Dall-E)
Wir blättern im Tagebuch von Andreas Haupt, Gründer, CEO und Zulangeschon-Chef der Agentur HAUPTGEWINN, der nach eigenen Angaben coolsten Agentur südlich des Polarkreises, der endlich lernt, warum Werber nicht werben. Zumindest nicht für sich selbst. Und gegen Geld.

14.03.2024 - Ich werde berühmt. Nein, falsch: Wir werden berühmt. Denn ich bekomme ein Interview im wichtigsten Fachmedium der Branche. Heute Abend gibt's Pizza for free fürs Team und einen Prosecco-Brunnen. Yes!

von Christian Faltin

Merlin ist Ressortleiter Agenturen bei ADLAND, einem der wichtigsten Fachmedien unserer Branche, dem "Medium für Moderne Marketers" aus dem M³-Verlag, und locker seit zwei Jahrzehnten im Job.

Er kennt sich wirklich aus in der Branche und möchte mit Maria und mir mal ausführlicher sprechen. Wir sind nämlich auf der Shortlist für die "Agentur des Jahres" gelandet. Geil, oder? Aber eigentlich höchste Zeit. Schließlich wurden vergangenes Jahr Mike & Horst ausgezeichnet. Und die haben es nun wahrlich nicht verdient. Und im Jahr davor die Goldenen Reiter und davor die NoBusiness-Angels. Irgendwie klar, dass wir längst mal dran sind.

Wir verabreden uns mit Merlin für den 28. Februar, vormittags um 10 bei uns in der Agentur. Wäre natürlich auch früher gegangen, aber eine erfolgreiche Agentur sollte schon ein bisschen busy wirken. Schließlich gilt es, sich eine 8-Seiten-Strecke in Print und jede Menge Online-Berichterstattung zu verdienen.

Heute Abend gibt's Pizza for free fürs Team und einen Prosecco-Brunnen. Yes!


16. Februar
Doppelter Kater. Einmal von gestern Abend und dann tritt auch noch Maria, meine Co-MD, am Morgen danach so richtig auf die Spaßbremse: "Nix für ungut, Andreas, aber keiner unserer Kunden liest noch ADLAND. Die rangieren in der Bedeutung bei den Werbetreibenden irgendwo zwischen Mittelerde, Kaufland und Qualityland. Die haben Online regelrecht verschlafen, das Magazin erscheint nur noch alle Jubeljahre und liegt bei uns auf dem Coffeetable meist ungelesen im Konfi rum. Und ehrlich gesagt, sieht es mit unserem Pitch- und Track Record die letzten Monate auch nicht so dolle aus. Was sollen wir dem Redakteur denn Wegweisendes erzählen? Unsere ach so erfolgreiche Back to Office-Kampagne   , unsere Packaging-Innovation mit dem viereckigen Joghurt für Meier-Milch oder die Diversity-Kampagne für den Fischstäbchen-Hersteller? Wir haben für HAUPTGEWINN ja noch nicht mal einen TikTok-Kanal."

Da platzt mir echt die Hutschnur: "Also mal langsam, Maria. Das ist ja Defätismus pur. Wir haben jede Menge gute Kunden und Projekte, zur Not bauen wir ein paar aus der Vergangenheit dazu. Victor, unser Volo, und Elena, unsere Etatdirektorin, schauen sich gerade ChatGPT, Sora, DeepL & Co. an. Das können wir doch locker als eigenständige KI-Unit verkaufen. Und unser Reinigungsgeräte-Hersteller verkauft doch auch groß im Web, das verbuchen wir unter E-Commerce. Zumal die auch Amazon Ads schalten. Ich habe meinen LinkedIn-Account ausgebaut und betreibe hinter den Kulissen zusätzlich den Account von Mario, dem Marketingleiter bei unserem wichtigsten Großkunden   . Läuft unter Content Marketing. Also decken wir als Agentur so ziemlich alle Zukunftsthemen von Marketing und Kommunikation ab. Das wird laufen mit Merlin, glaub's mir."

Maria bleibt skeptisch, aber wir einigen uns (wie meistens). Wir bereiten uns intensiv auf den Termin vor und stellen alle Materialien zusammen, dann wird schon nix schiefgehen.


21. Februar
Ich informiere das Team, dass ADLAND kommende Woche vorbeikommt. Das bedeutet für alle: Zurück ins Büro, dass der Laden so richtig vibriert. Nicht, dass wir hier mit 4 bis 5 Leuten sitzen wie sonst immer. Was macht das für einen Eindruck, wenn das Büro weitestgehend leer ist. Die Begeisterung hält sich in Grenzen. Susi, unsere Social Media-Expertin, fragt noch, wer oder was ADLAND sei. Davon hätte sie auf Insta und TikTok noch nie was gehört. Oh mei, diese Jugend.


28. Februar
Der Tag der Tage. Der Konfi ist eingedeckt, Maria und ich haben uns hübsch gemacht. Heißt bei mir: Dunkelblaues, tailliertes T-Shirt, heller Leinenanzug, weiße Sneaker. Maria kommt - wie immer stilsicher - in einer hellen, fließenden Seidenbluse, ein Hingucker, der aber nicht zu stark ablenkt, und einer sehr engen schwarzen Hose. Auf dem Tisch stehen fancy Snacks, die neuesten Fritz-Sprudel-Kreationen (Rhabarber, Hollunder, Minze) und das bekannte stille Wasser aus einer kleinen Brauerei im Spessart. Vielleicht werde ich diesmal meine Geschichte los.

Merlin ist pünktlich. Irgendwie habe ich ihn mir anders vorgestellt. Irgendwie eindrucksvoller und nicht so unscheinbar. Der "Kommissar Jennerwein" der Redaktionswelt. Trotzdem bin ich ein bisschen nervös. Maria zwinkert mir zu. Wird schon!

Wir starten mit Small-Talk. Und dann kommt etwas völlig Unerwartetes: "Warum werbt ihr eigentlich nicht für euch?", fragt mich Merlin. "Ihr seid doch Kommunikationsprofis. Aber Agenturen schalten keine Anzeigen für sich, drehen keine Spots in eigener Sache, haben keine aufmerksamkeitsstarken Social Kanäle und die Markenpositionierung vieler Agenturen ist komplett austauschbar. Das würdet ihr Euren Kunden niemals durchgehen lassen. Glaubt ihr vielleicht gar nicht an Werbung?"

Puh, ich versuche geistesgegenwärtig eine Antwort zusammenzubasteln, aber Merlin ist schneller: "Und erzählt mir bitte nicht, die Arbeit für Kunden würde vorgehen. Oder den berühmten Schuster-Vergleich mit den schlechtesten Schuhen. Das ist doch alles nur vorgeschoben. Das höre ich seit zwei Jahrzehnten, ohne dass sich etwas ändert. Wisst ihr, was das für uns als Redaktion bedeutet? Ihr verlangt von uns, dass wir seitenlang über eure vermeintlichen Großtaten berichten, aber ihr tragt in keinster Weise zur Finanzierung unserer Arbeit bei. Stattdessen hängen jede Woche eure PR-Tussis bei mir in der Leitung und quatschen mir die Ohren voll. Das hat dazu geführt, dass die Redaktion mittlerweile nur noch aus drei Leuten besteht, die Online, Print und Event machen sollen.

Früher waren wir mal 15. Wir haben über 70 Prozent unseres Umsatzes verloren, weil auch die nationalen Vermarkter immer weniger Geld haben. Kein Wunder, wenn drei Viertel der Digitalspendings zu Google, Meta, TikTok und Co. wandern. Und unseren Wettbewerbern morebusiness, Marketing&Media und Newhorizons geht's auch nicht wirklich besser. Für die Werbebranche gilt doch immer öfter: No Business statt Show Business. Sorry, das musste mal raus. Und jetzt lasst uns über HAUPTGEWINN, eure sensationellen Etatgewinne, die tollen Kundenprojekte und den Super-Teamspirit in der Agentur sprechen. Das höre ich sooo selten, wenn ich in Agenturen zu Gast bin."

Ganz schöner Zyniker, dieser Merlin. Wahrscheinlich ist der Gute einfach zu lange im Geschäft. Bräuchte mal nen Tapetenwechsel, aber nach über 20 Jahren und in dem Alter wird's in unserer Branche extrem dünn mit anderen Jobs. Wir haben dann tatsächlich noch eine gute Stunde unsere Success Story präsentiert, hat aber irgendwie weniger Spaß gemacht. Merlin meinte zum Abschied: "Nix für ungut. Ich melde mich, wenn ich mit den anderen Agenturen auf der Shortlist durch bin und die Jury ihr Votum abgegeben hat. Wahrscheinlich so in einer Woche."


6. März
Die Woche ist rum. Ich bin heute zusammen mit Maria allein im Büro. Soll ich Merlin anmorsen? Ich lasse es, das wirkt zu aufdringlich, aber gespannt wie ein Flitzebogen bin ich schon. Maria meint, ich soll nicht so rumstressen. Wir hätten eh andere Probleme. Maria, sag ich, "in unserer Branche gibt es nur Herausforderungen. Wir haben ein positives Framing. Alles andere zieht uns nur zu sehr runter. Das wird schon, Du wirst sehen."


8.März
Ich ringe mich durch, Merlin doch eine freundliche Mail zu schreiben, in der ich dezent nachhake, wie es denn aussieht. Zurück kommt ein Autoresponder: "Liebe Marktpartner, nach 25 Jahren bei ADLAND ist es für mich Zeit, zu neuen Ufern aufzubrechen. Ich danke Ihnen und Euch für die guten Gespräche, die mich persönlich immer bereichert haben. Ich werde ab nächstem Monat die Leitung der Kommunikation beim westfälischen Windparkbetreiber HOTAir übernehmen. Ich freue mich auf diese Herausforderung, für die ich in meiner bisherigen Tätigkeit ausreichend Erfahrung sammeln konnte. Lassen Sie uns gerne in Kontakt bleiben."
Und jetzt? Das kann er doch nicht machen? Wer schreibt jetzt unser Agenturporträt? Ich rufe sofort in der ADLAND-Redaktion an. Keiner geht ran. Wahrscheinlich alle im Home Office. Ich versuche es Montag nochmal.


11. März
Sondernewsletter von Newhorizons in meinem Mail-Postfach: Der M³-Verlag hat Insolvenz in Eigenverwaltung angemeldet. Bis auf Weiteres werde der Geschäftsbetrieb von einem Redaktionsmitglied - unterstützt durch Künstliche Intelligenz - fortgeführt. Awards und Events pausieren vorerst. Mist.

Heute nachmittag rufe ich Jürgen an. Er arbeitet in der Redaktion bei morebusiness und die bringen kommende Woche ein Special über Agenturen mit ungewöhnlichen Namen   . Wär doch gelacht, wenn wir da nicht unterkommen.



Zum Autor: Christian Faltin und Andreas Haupt kennen sich schon lange. Beide schreiben regelmäßig Tagebuch - schonungslos fiktiv, gnadenlos persönlich und nichts für schwache Nerven. Mit der Realität hat das natürlich gar nichts zu tun, deswegen ist auch keine künstliche Intelligenz im Spiel. Bis auf eine kleine Ausnahme. Mehr über den einen Autor unter Christianfaltin.de   . Er hat auch ein ganz tolles Linkedin-Profil.

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Joachim Graf

Von: Joachim Graf, HighText Verlag, 14.03.2024

Zu: Aus dem Tagebuch eines Agenturchefs (7): Das Interview - Warum Werber nicht werben

Es fehlt die Antwort: "Wir machen kein Media, das ist soooo 90er. Das Budget kriegt jetzt unsere PR Agentur. Die platziert schöne Stories, da habt ihr doch auch geilen Content"

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