8 O N E t o O N E 0 5 / 2 0 2 3 „Der Kunde soll rundherum eine gute Customer Journey haben – aber am liebsten habe ich die Kunden im Store." Wir haben also beides: Man kann einfach nur schnell ein Kabel kaufen. Oder man bringt etwas Zeit mit und kommt, um zu sehen und zu testen. Man kennt das vielleicht als das Ikea-Prinzip – erst inspirieren, dann kaufen. Unsere Kunden mögen das: Sich einerseits selbstbestimmt ein Kabel holen zu können und andererseits gucken, erleben, entde- cken. Wir selbst sind mit dem Ladenkonzept sehr happy und freuen uns, damit für den German Design Award nominiert zu sein. Die Stores sehen hochwertig aus, man geht gerne hinein. Dadurch hat sich die Aufenthaltsdauer deutlich verlängert. Manchmal kommen auch Leute rein, die sagen: „Das sieht alles so spannend aus, ich wollte einfach mal gucken. Was gibt es denn hier?“. Ist es Ihnen also am liebsten, wenn die Kunden in die Läden kommen? Oder sind Ihnen am Ende doch Online-Besteller lieber, weil sie weniger Kosten verursachen? Am Ende des Tages sind wir über jeden Kunden froh, egal ob er online kauft oder in den Store kommt. Und ein Online-Shop ist ja übrigens auch nicht ganz günstig. Wir haben eben erst unsere Website komplett überarbeitet und ge- meinsam mit einer UX-Agentur viele Stunden damit verbracht, einen vollständig User-zentrierten An- satz zu entwickeln. Apple hat mittlerweile ein riesiges Produktportfolio, wir haben dazu unser Zubehör – wie kann man sich da zurechtfinden? Wie kommt man schnell zu dem, was man sucht? Auf diese Fragestellung haben wir die gesamte UX optimiert. Aber trotzdem ist es uns extrem wichtig, dass die Leute in den Store kommen. Denn dort haben wir unser wichtigstes Asset: Menschen. Damit meine ich unsere Teams vor Ort, die auf Augenhöhe beraten und Tipps geben. Wir wissen aus der Marktforschung, dass es unseren Kunden sehr wichtig ist, auf Augenhöhe behandelt zu werden. Deswegen kommen sie in die Läden. Dann trauen sie sich, auch „doofe“ Fragen zu stellen, weil sie irgendetwas nicht hinkriegen. Oder sie bringen gleich ihren Rechner mit und sagen: „Könnt ihr euch das bitte mal angucken?“ Diese menschliche Komponente können wir niemals online ab- bilden, egal wie wir uns auf den Kopf stellen. Das funktioniert nur im Laden. Wir sind sehr stolz darauf, dass wir solches Top- Verkaufspersonal haben, leidenschaftliche Verkäuferinnen und Verkäufer, die einen sehr guten Job machen. Also umgekehrt: Das stationäre Geschäft ist wichtiger? Ohne online funktioniert heute keine Customer Journey mehr. Na- türlich müssen wir – Stichwort Omnichannel – alle Kanäle nahtlos verknüpfen. Wenn man seinen Kunden ein gutes Einkaufserlebnis bieten möchte, kommt man an online nicht vorbei. Selbst der Mit- arbeitende im Store muss schnell etwas mit und für den Kunden bestellen können, wenn das, war er sucht, nicht vorrätig ist. Die Lagerkapazitäten sind logischerweise nicht unbegrenzt. Unser Ziel ist ganz klar, dass der Kunde eine gute Customer Journey hat. Aber wenn Sie mich jetzt so fragen – dann habe ich die Kunden schon am liebsten im Store. Dort kann man erleben, wie man ganz unaufgeregt fair und unabhängig beraten werden kann. Design, Beratung, Atmosphäre, … welche Stellschrauben stehen einem Händler noch zur Verfügung? Eine wichtige strategische Komponente ist das Sortiment. Ein Händler definiert sich über sein Sortiment. Deswegen haben wir uns genau angesehen, was hier noch zu unserem Markenverspre- chen passt. Dazu gehört erst einmal, dass wir uns selbst prüfen. Welche Innovationskraft haben wir? Wo müssen wir nachlegen? Und wenn wir unsere Positionierung verändern wollen: Welche Marken fehlen uns? Welche Entwicklung sehen wir langfristig bei den Marken? Welche Marken sind für jüngere Zielgruppe, die wir im Auge haben, relevant? Das war eine wichtige strategische Komponente in unserem Relaunch. Sie stehen vor der Herausforderung, nicht nur Apple-Produkte zu verkaufen, sondern auch im Wettbewerb zu der extrem starken Handelsmarke Apple zu stehen. Wie unterscheiden sich Gravis- von Apple-Kunden? Sprechen Sie vielleicht eher Selbstständige und Geschäftskunden als Privatkunden an? Ich glaube, dass sich insbesondere bei Apple diese Lebensbereiche extrem vermischen. Es gibt kaum Menschen, die im Privatleben ein iPhone benutzen und im Berufsleben sagen: „Da will ich jetzt lieber Windows haben!“ Insofern ist es nicht hilfreich, un- sere Zielgruppe an dieser Linie zu trennen. Ich glaube sogar, dass es recht fluide ist, wer zu Gravis und wer in einen Apple-Store kommt. Ich denke, es ist eher eine Frage der unabhängigen Beratung. Wer mit Experten fachsimpeln will, wer mehr Beratung zu übergreifenden Themen will, der kommt zu uns. Kann man vom Alter her einen Unterschied aufmachen? Das wäre schön! Für mich wäre es viel einfacher, wenn ich sagen könnte: Unsere Kunden sind Typ X, seit 20 Jahren dabei, männlich, Mitte 50. Aber die Realität ist: Jedes Mal, wenn ich in einem unserer Läden bin, treffe ich genauso Studenten wie Frauen und Männer, die schon sehr, sehr lange Apple-Fans sind. Es kommen ganze Familien in den Laden. Ein Mann, der schon seit 20 Jahren bei uns kauft, mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern, die dann ein iPhone oder ein iPad für die Schule wollen. Wir untersuchen das regelmäßig und es gibt schon eine Tendenz: Unsere Kunden sind eher ein bisschen älter und ein bisschen männlicher. Aber es ist eben nur eine Tendenz. Im Grunde sind sie gut durchmischt. Hassen oder lieben Sie es, dass Apple selber die Messlatte für Händler so hoch legt? Apple gilt ja als ein Händler, der seinen Job sehr gut macht. Ich könnte nichts in Verbindung mit Apple jemals hassen. Apple ist Jahr für Jahr die wertvollste Marke der Welt. Und das nicht umsonst. Die machen einen fantastischen Job. Aus Marketing- Sicht gibt es wirklich nichts Höheres und deswegen finde ich es auch nur richtig, konsistent und konsequent, dass sie einen Top-Retail haben. Ich finde das eine tolle Benchmark und wir gucken natürlich auch immer wieder, was wir besser machen können. Wenngleich ich schon sagen muss: So wie wir den Faktor Mensch ins Zentrum stellen, das finde ich in der Konsequenz sonst nirgendwo. Wir haben jetzt ziemlich viele turbulente Jahre hinter uns. Aus- gerechnet in dieser Zeit haben Sie angefangen den Relaunch voranzutreiben. Wie plant man, wenn man eigentlich nicht mehr planen kann? Wir konnten das gut abkoppeln. Strategisch betrachtet war es