von Gastbeitrag
Ticken Nichtregierungsorganisationen anders als der Rest der Welt? Anders als die Mitspieler in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft? Warum gibt es so viel Frust in der Zusammenarbeit zwischen NGOs und ihren potenziellen Unterstützern? Das ist wie bei den Königskindern in der Volksballade, könnte aber oft einen glücklicheren Ausgang nehmen. Martina Dase (Inhaberin Martina Dase Strategien) in einem Autorenbeitrag für Fischer's Archiv:
Kennen Sie ihn auch, den Kreativdirektor, der endlich einmal etwas richtig Sinnvolles machen möchte, der aber die Hände über dem Kopf zusammenschlägt, als er zum ersten Mal eine Kampagne für eine Hilfsorganisation entwickelt - weil die Zusammenarbeit so schwierig ist? Oder den Schauspieler, der unbedingt hautnah bei einer gewagten Tierschutzexpedition dabei sein möchte und einen Korb bekommt, weil das der NGO suspekt ist? Oder das Unternehmen, das in einer schockierenden Katastrophe, sagen wir dem Erdbeben von Haiti, Soforthilfe leisten möchte und dann nicht versteht, dass gerade seine Landmaschinen oder seine Lebensmittel an diesem Ort der Welt im Moment nicht wirklich helfen, obwohl der Bedarf doch so offensichtlich scheint?
Wenn Ihnen diese oder andere Enttäuschte schon einmal begegnet sind, so darf ich Ihnen versichern, dass es für jeden von ihnen mindestens ein Dutzend Frustrierte auf Seiten der NGO gibt, die ähnliche Geschichten ohne Happy End aus ihrer Perspektive erzählen könnten. Nicht zu reden von all den Gutwilligen auf allen Seiten, die gar nicht erst eine Erfahrung miteinander machen, weil es schlicht keine Verbindung zwischen ihnen gibt. Wie schade! Denn die NGOs, die "Druckmacher", werden in unserer von der Globalisierung überforderten Welt gebraucht, und sie brauchen Unterstützer, viel mehr als die klassischenSpender und Aktivisten. Welchen globalen Bedrohungen wir uns heute gegenüber sehen, das hat uns Barack Obama in seiner Berliner Rede noch einmal eindringlich vor Augen geführt: Noch nie waren weltweit so viele Menschen auf der Flucht wie heute. Die Zahl der bewaffneten Konflikte nimmt zu. Jahrhundertunwetter suchen uns in immer kürzeren Abständen heim. Es drohen neue Hungeraufstände und Kriege um Wasser. Das sind nur einige der Herausforderungen, vor denen die internationale Gemeinschaft im 21. Jahrhundert steht. Aber die Staatenlenker bewältigen die Herausforderungen nur unzureichend. Existenzielle politische Verhandlungen wie die zum Welt-Klimaschutz enden von Mal zu Mal ergebnislos.
Oftmals sind es die Nichtregierungsorganisationen, die dort vorangehen, wo die nationale und internationale Politik versagt, wo sie ohnmächtig verharrt oder dem Diktat der Ökonomie unterliegt. Wie viel weniger entwickelt wäre das Umweltbewusstsein heute, wenn es nicht über Jahrzehnte die Kampagnen von Greenpeace gegeben hätte?
Heute haben die Stimmen von Greenpeace und anderen internationalen NGOs in internationalen Verhandlungen Gewicht. Aber die NGOs sind nicht die einzigen Streiter für positive Veränderungen. Auch die Corporate Social Responsibility, die gelebte soziale Verantwortung von Unternehmen, macht die Welt ein Stück besser, zumindest dort, wo sie kein "Greenwashing" ist. Angesichts der Ohnmacht der Politik und der wachsenden Veränderungsbereitschaft auf vielen Seiten: Wäre es da nicht an der Zeit für ganz neue Allianzen, Zeit etwa für eine substanzielle Zusammenarbeit zwischen NGOs und Unternehmen oder auch zwischen NGOs und einflussreichen Superreichen wie Bill Gates und Warren Buffet, die auf ihre Weise nach Lösungen suchen?
Doch mit den NGOs und dem Rest der Welt verhält es sich allzu oft so wie mit den sprichwörtlichen Königskindern der alten Ballade: Sie konnten beisammen nicht kommen, das Wasser war viel zu tief...
Dabei sind Bedarf und guter Wille allenthalben groß. Ich kenne keine NGO, die sich nicht noch mehr Unterstützer für ihre Causa wünscht - und bekommen könnte. In jedem Bereich unserer Gesellschaft gibt es zahlreiche ernsthafte Anwärter. Soziales Engagement wird immer populärer, bei DAX-Unternehmen, Werbeagenturen oder Prominenten gehört es inzwischen zum guten Ton. Und doch führt längst nicht jede Wohltätigkeits- oder Sozialrabatt-Beziehung zum beiderseitigen Glück. Immer wieder bleiben Hochmotivierte auf der Strecke. Dieses Nicht-zueinander-Kommen ist in meinen Augen so bedauerlich wie vermeidbar. Die Geschichten vom Kreativdirektor, vom Schauspieler oder Trecker-Fabrikanten können auch gut ausgehen, nämlich immer dann, wenn sie wissen, wie NGOs ticken - und umgekehrt. Doch genau das ist noch zu selten der Fall. Was also steht im Weg?
Meine Antworten stammen aus eigener Erfahrung. Zwei Mal habe ich in international tätigen NGOs gearbeitet, habe dort als Bereichsleiterin bzw. Vorstandsmitglied Kommunikation und Marketing verantwortet. Diese Seite kenne ich schon deshalb besonders gut, weil beide Mandate mit tiefen Eingriffen in die bisherigen Abläufe der Organisation verbunden waren. Wesentliche Aufgabe war es für mich in beiden Fällen, Erneuerungen voranzutreiben und Umstrukturierungen umzusetzen. Bei solchen Veränderungsprozessen, zumal in älteren Organisationen, wird besonders deutlich, nach welcher inneren Logik sie funktionieren, wie ihre Kultur über die Jahrzehnte ihres Wirkens gewachsen ist, wie sich Denk- und Gefühlsmuster auch verfestigt haben.
Doch meine Einschätzungen kommen nicht nur aus dem Inneren von Nichtregierungsorganisationen. Ich betrachte die ziemlich komplizierte Materie aus drei Perspektiven gleichzeitig: aus dem Blickwinkel des NGO-Managements, aus journalistischer Sicht und vom PR- und Marketingstandpunkt. Ich hatte das Glück, alle diese Perspektiven beruflich einnehmen und vertiefen zu können. Dabei habe ich erfahren, welcher Erfolgsdruck und welches Tempo in einer Agentur herrschen, welche Leistungen dadurch aber auch möglich sind. Habe erlebt, wie sich Quotendruck im Fernsehen auf redaktionelle Entscheidungen und auf die Arbeitsweise von Journalisten auswirkt. Wie brutal der Job eines Berufspolitikers ist und welche Zwänge ein Prominentenstatus mit sich bringt. Und für mich sehr wertvoll: Ich habe auch die andere Seite kennen gelernt, weiß wie Menschen fühlen, die sich sozial engagieren wollen, und wie Menschen empfinden, die Hilfe brauchen - nicht nur, aber auch aus ganz persönlicher Erfahrung.
Unterwegs habe ich zahllose Menschen aus allen sozialen Milieus kennen gelernt - von der Industriellenfamilie Quandt bis zu den Eltern aus Hamburg-Jenfeld, die ihre Tochter im Großstadtghetto verhungern lassen; von dem russischen Priester an der Wolga bis zu den Kindern im Slum von Nairobi. Diese Begegnungen haben mir gezeigt, was den unterschiedlichsten Menschen an den verschiedensten Orten der Welt wichtig ist, was sie antreibt. Warum sie wie handeln. Ganz am Anfang meines beruflichen Weges hatte ich vier Jahre lang nahezu täglich mit Medienvertretern zu tun und natürlich mit Popstars, Künstlermanagements sowie "VIPs" aller Art. Und mit deren manchmal irrwitzigen Wünschen. Meine erste Begegnung mit den Fallstricken sozialen Engagements stammt auch aus jener Zeit.
Es war einmal ein Mainstream-Popstar, der hatte alles erreicht, was er sich erträumt hatte. Da traf er einen Obdachlosen. Der Popstar hatte Mitleid und schrieb einen Song, der sein größter Hit wurde. Auf seiner Deutschlandtournee durfte die Caritas die Tickets mit einem Benefizzuschlag verkaufen. Die Spenden flossen in Ambulanzen für Obdachlose. Der Popstar erhielt eine Caritas-Medaille. Die Boulevard-Presse berichtete begeistert im Vorfeld des Berliner Live-Auftritts. Da dachten sich die Obdachlosen: Dieses Konzert ist für uns, und sie begehrten Einritt. Nach hektischer Walkie-Talkie-Kommunikation die beinharte Entscheidung des Managements: Der "Rest der Welt" musste draußen bleiben.
Das war mein Initialerlebnis dafür, wie unrund die gute Tat trotz bester Absichten auf allen Seiten laufen kann. Ein viertel Jahrhundert später hat sich vieles professionalisiert, und doch gibt es vergleichbare Diskrepanzen immer noch.
Heute befindet sich die gemeinnützige Branche gleichzeitig in einer Boom-Phase und in einer angespannten Lage: Die Zahl der NGOs steigt. Soziales Engagement hat Konjunktur, in der Wirtschaft und in den Medien. Zeitschriften und Magazine wie Enorm etablieren sich am Markt. Aber der Spendenmarkt insgesamt wächst nicht entsprechend. Das heißt, vom gleichen Kuchen wollen immer mehr essen. Einige Spendenorganisationen suchen daher einen Ausweg in der Internationalisierung, andere fusionieren oder überdenken ihr Geschäftsmodell. Das heißt: Die NGOs stehen miteinander in einem härter werdenden Wettbewerb - um Aufmerksamkeit, um Vertrauen, um Spender und deren Treue. Nur dass der Wettbewerbsgedanke ihnen nicht sonderlich sympathisch ist.
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