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Interview

"Sonst verliert man Online als Kommunikationsform"

18.06.2015 - Jede Bewegung, die wir online machen, lässt sich nachvollziehen. Auch wenn der Prozess ein langsamer ist, steigt die Sensibilität der Nutzer für die Themen Privatsphäre im Netz und Datenschutz. Wir sprachen mit Benjamin Birkner, Head of Business Development bei der Digitalagentur Die Onlinefabrik, über das Problem, mögliche Lösungen und eventuelle Folgen für das Onlinemarketing.

Herr Birkner, Sie haben sich zu den im Januar veröffentlichten New Clues, eine Art Update der 95 Thesen des legendären Cluetrain Manifests über das Internet von 1999, auch zum Thema Datenschutz, digitale Ethik und Privatsphäre geäußert. Die Branche, ihre Branche, wird von den Autoren Doc Searls und David Weinberger als "Wiesel" bezeichnet. Teilen Sie die Meinung?Die grundsätzliche Stoßrichtung der New Clues, zum Beispiel woher das Netz ursprünglich kommt und bezüglich der Nutzerinteressen, ist richtig. Diese Meinung teile ich. Aber in einigen Bereichen schießen sie übers Ziel hinaus. Es ist sehr leicht, von externer Seite Fundamentalkritik zu üben. Aber das schließt Wirtschaftsinteressen, Realpolitik und Praxis aus. Grundsätzlich finde ich diese normative Linie aber sehr charmant.

Wo sehen Sie die aktuellen Probleme des Onlinemarketings in diesem Bereich?Das ist ein weites Feld. Es kommt darauf an, worauf man den Fokus setzt. Und wer stellt welche Richtlinien auf? Sind es selbstregulative Objekte? Verbände? Oder die Politik? Da ist die Frage natürlich auch immer, ob die Bestimmungen einerseits weitgehend und andererseits präzise genug sind, um praxisbezogen zu sein.

Und dann sind da ja noch die User...Genau. Und hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Auf der einen Seite hat man eine gebildete und engagierte netzpolitische Speerspitze wie Johnny Häusler, Markus Beckedahl und Veranstaltungen wie die republica. Auf der anderen Seite gibt es eine weite Bevölkerungsschicht, die das Thema marginal verfolgt, sich aber trotzdem nicht engagiert oder eine Bereitschaft zeigt, ihm in der eigenen Praxis Raum zu geben. Man fragt sich schon, was bedarf es eigentlich noch mehr als den NSA-Skandal, damit Menschen da ein Gespür entwickeln.

Der französische Philosoph Michel Foucault hat das Prinzip und die Folgen des Wissens, ständig überwacht zu werden, Panoptismus genannt. Der Überwachte übernimmt die Zwangsmittel der Macht und spielt sie gegen sich selber aus. Er wird zum Prinzip seiner eigenen Unterwerfung, hat Foucault geschrieben. Er passt sein Verhalten also normativen Vorstellungen an, unabhängig davon, ob er in diesem Moment tatsächlich überwacht wird, oder ob er das nur gewohnt ist.Da geht es um eine implizite Vorwegnahme der Selbstzensur. Das kann man jetzt schon beobachten. Ein großer Teil der User hat sein Verhalten in Bezug auf die Themen, die online besprochen werden, schon angepasst. Da gibt es Themen, über die im Internet überhaupt nicht mehr geredet wird, weil man weiß, dass alles getrackt werden kann. Das führt zu Destabilisierung und Delegitimierung. Ich halte das für ein Milieu-spezifisches Phänomen. Teile der Gesellschaft nehmen sich da raus, wenn ich ihre Ethik nicht aktiv bediene.

Was bedeutet das für das Onlinemarketing?Ich verliere diese Menschen. Und das sind lukrative Zielgruppen. Da kann ich mir noch so sehr neue Werbeformen wie Native Advertising und Content Strategien ausdenken, die ja, um es mal zugespitzt zu sagen, Ausflüchte auf solche Phänomene wie Adblocker oder das Thor-Netzwerk sind. Das sind mögliche Antworten auf Reaktanzen, aber keine zureichenden. Denn sie gehen nicht ans Grundübel heran, holen die Menschen nicht bei ihren Befindlichkeiten ab. Sie versuchen nur, sie anders zu erreichen. Wenn ich versuche, User über Inhalte anzusprechen ist es ein Problem für mich, wenn nicht mehr alle Inhalte online kommuniziert werden. Denken Sie mal an Keywordtargeting oder semantisches Targeting.

Eine mögliche Lösung bieten zahlreiche Ad-Tech-Unternehmen auch schon an: ein Opt-out auf der eigenen Website. Aber die wenigsten User wissen das und selbst wenn, ist es doch sehr kompliziert: Cookies immer löschen, ständige Opt-outs bei allen Anbietern, die mit Fingerprints arbeiten, keine IDs mehr, denn auch darüber lässt sich nachvollziehen, auf welcher Seite ich war. Was kann man tun, um mehr Selbstbestimmung in den Online-Konsum zu bringen?Ich denke, da sind alle Seiten gefordert. Politik, Verbände, der Markt, die Agenturen. Für User gilt: wenn eine Lösung einfach und praktikabel ist, wird sie angenommen, das sieht man ja an Adblockern. Der Opt-out ist immer etwas tricky, da gebe ich Ihnen recht. Den muss man transparenter machen. Und das wäre dem Markt zu empfehlen. Denn es gibt eine Sensibilität bezogen auf das Thema, immer mehr Menschen nutzen Adblocker und löschen Cookies.

Aber auch bei den Cookies hat die Industrie Umgehungsmöglichkeiten entwickelt, Stichwort Fingerprints, ID-basiertes Tracking et cetera. Und Adblocker verhindern ja nur, dass Werbung ausgespielt wird, nicht dass Daten gesammelt werden. Da steckt ja auch ein ganz klarer kommerzieller Nutzen für das Unternehmen dahinter. Wer könnte denn ein Interesse daran haben, eine einfache Lösung zu entwickeln, die auch wirklich genutzt wird?Es kommt schon ein klares Zeichen von Werbetreibenden aus dem institutionellen Bereich, von Parteien und Ministerien. Wenn ich diese Grundsätze vertrete, muss ich sie auch selber leben. Man ist da als Agentur stark gefordert, Kampagnen ohne Einsatz von nutzerbezogenen Cookies zu entwickeln. Das haben wir zum Beispiel für die Wahlkampfkampagne der Grünen gemacht. Und es entsteht auch in anderen Branchen eine neue Sichtweise, das hatten wir jetzt bei einem Energiekunden. Alle für den Etat in Frage kommenden Dienstleister wurden danach selektiert, ob sie sämtliche Datenschutz-Anforderungen erfüllen, Privatsphäre-Siegel haben und so weiter. Denn umso mehr die Themen Datenschutz, Privatsphäre, Tracking diskutiert werden, desto mehr wirken sie auch auf den Branding-Bereich.

Also sind alle gefordert?Mittelfristig muss dieses Thema gepusht werden. Sonst verliert man den Bereich Online als Kommunikationsform. Wie hieß es im ersten Cluetrain Manifest: Märkte sind Gespräche. Das heißt umgekehrt: ohne Gespräche keine Märkte. So geht Ihnen im zweiten und dritten Schritt dann auch noch der ganze Bereich E-Commerce verloren.

[k]Das Interview führte Katharina Schneider.[/k]

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