18.10.2004 - Das Ende der Big Books?
Im Mai 2002 wollte der damalige Vorstandschef des Konzerns, Wolfgang Urban, es noch als "Gunst der Stunde" verstanden wissen. Doch im anhaltend schwachen Marktumfeld führte die Strategie des forcierten Wachstums das traditionsreiche Unternehmen binnen zwei Jahren an den Rand des Ruins. Mit der radikalen Fokussierung auf Kernkompetenzen und Wachstumsfelder soll KarstadtQuelle nun wieder profitabel werden: Im Versandhandel treten die Universalisten künftig als "Multispezialisten" auf, den berühmten Quelle-Hauptkatalog soll es künftig nicht mehr geben.
Die Neuausrichtung des Konzerns betrifft besonders die Warenhäuser und Fachgeschäfte, auch die Versandhandelssparte, die bereits mehr als die Hälfte zum Konzernumsatz beiträgt, wird gründlich aufgeräumt. Im Distanzhandel wird sich KarstadtQuelle auf den Ausbau der Wachstumsfelder Spezialversand und E-Commerce fokussieren, wobei der Anteil des Auslandsgeschäfts am Versandhandelsumsatz bis zum Jahr 2006 von derzeit 24 Prozent auf 28 Prozent steigern soll. Versandhandelschef Arwed Fischer stellte kürzlich fest, dass das Kerngeschäft beim Verbraucher deutlich an Attraktivität verloren hat. "Wir haben deshalb unser Geschäftsmodell Universalversand auf den Prüfstand gestellt", schrieb Fischer in einem Brief an die Mitarbeiter. Die Umsatzplanung der beiden Universalversender, die mit 6,5 Milliarden Euro den Löwenanteil zum Spartenumsatz beitragen, wurde für die nächsten Jahre drastisch reduziert - bei Quelle etwa um gut eine halbe Milliarde Euro.
"Wesentlicher Bestandteil der Neuausrichtung sind eine klarere Profilierung und Abgrenzung der beiden Marken Quelle und Neckermann", sagte Christoph Achenbach auf der Pressekonferenz Ende September. Als "Multispezialisten" konzentrieren sie sich künftig auf verschiedene Profilierungssortimente. Dabei hat Achenbach für den Quelle-Versand insbesondere die Themen "Moderne bis klassische Mode" und "Modernes bis klassisches Wohnen" sowie Technik im Visier. Die Marke präsentiert sich somit als Fachanbieter für eine Zielgruppe 50plus. Neckermann hingegen soll die jüngeren Kundensegmente mit "Junger Mode" und allem versorgen, was man für "Junges Wohnen" braucht.
Nicht nur durch ein vermindertes Warensortiment erhofft sich der Konzern deutliche Spareffekte bei den horrenden Geschäftssystemkosten. Auch die Werbekosten sollen sinken: Bei der Kundenansprache hat Achenbach einen "zeitgemäßeren Umgang mit dem Katalog" angekündigt: Sprich: Der vor wenigen Wochen auf der luftigen Zugspitze präsentierte Jahreskatalog mit Claudia Schiffer auf dem Titel und 80.000 Artikeln im Innenteil ist der letzte seiner Art. Ein Plan, der republikweit für Schlagzeilen sorgte: "Es ist eigentlich eine Sensation, dass das passiert", sagt Dr. Erhard Bost, Geschäftsführer von B+P Management Forum in Bad Homburg. "Noch vor wenigen Monaten hätte niemand gedacht, dass man die Big Books abschaffen würde."
Von Abschaffen ist offiziell auch nicht die Rede. "Ab Sommer 2005 wird die Erscheinungsform des Katalogs modernisiert", betont Quelle-Sprecher Manfred Gawlas. Geplant ist die Umstellung auf kürzere Saisonzyklen, von der sich Achenbach vor allem Einsparungen bei der Lagerhaltung verspricht. Neben je einem Hauptkatalog zum Thema Mode mit mehreren hundert Seiten und einem zum Thema Wohnen und Technik mit 1.100 Seiten sollen die Kunden künftig hoch aktuelle Spezialkataloge im Briefkasten finden. Das alles muss dem Distanzkäufer natürlich erklärt werden. Schließlich gehören treue Neckermann-Leser unter Umständen zum älteren Kundensegment, das künftig bei Quelle bestellen soll. Entsprechende Kampagnen sind geplant. "Wenn es so weit ist, werden wir dafür auf der ganzen Klaviatur spielen", sagt Gawlas.
Wohl deshalb reagierte der lang-jährige Druckdienstleister meiller gelassen auf die Ankündigungen des prominenten Kunden: Obwohl die Senkung der Katalogkosten laut Achenbach erklärtes Ziel der Maßnahme sind, werde das Druckvolumen lediglich anders verteilt, so meiller-Pressesprecher Marco Walz.
Parallel zum Sparkurs sollen Investitionen in Wachstumsfelder die Umsätze ankurbeln. Während die sieben großen Universalisten Quelle, Neckermann, Otto, Bader, Baur, Klingel und Schwab ein Umsatzminus von fünf Prozent verzeichnen mussten, machten die Spezialversender ein Plus von fast vier Prozent. Laut Dorothee Hoffmann, Sprecherin des Bundesverbands Versandhandel (bvh), hat sich dieser Trend auch 2004 fortgesetzt. "Das liegt vor allem an der unterschiedlichen Kundenklientel", so Hoffmann. "Die großen Kataloge werden vor allem von Familien mit Kindern genutzt, die derzeit extrem auf ihr Geld achten. Die Spezialkataloge hingegen, in denen es meistens um den Bereich Freizeit und Hobby geht, wenden sich an Käuferschichten, die auch bereit sind, Geld auszugeben."
Investiert wird deshalb bei KarstadtQuelle in die Sparte Spezialversand, in der zurzeit die Marken Afibel, Hess Natur-Textilien oder Madeleine logieren. Insgesamt 23 Anbieter verbuchten zwar im vergangenen Geschäftsjahr ein Umsatzplus von knapp sechs Prozent, der Gesamterlös liegt indes erst bei 1,6 Milliarden Euro. Daher will das Management die Expansion schnell vorantreiben.
Das Gleiche gilt für das Auslandsgeschäft: Parallel zum Ausbau der be-stehenden Gesellschaften außerhalb der Republik plant KarstadtQuelle in den folgenden zwei Jahren, in 14 weiteren Ländern aktiv zu werden - schwerpunktmäßig in Mittel- und Osteuropa sowie in Finnland und der Türkei. Forciert werden soll auch der E-Commerce, der Achenbach zufolge mit jährlichen Wachstumsraten von rund 40 Prozent bereits heute einen Anteil von 19 Prozent am gesamten Versandgeschäft hält.
Trennen will sich KarstadtQuelle darüber hinaus von den Fachgeschäftsketten SinnLeffers, Wehmeyer, Runners Point und Golf House. In diesem Segment soll sich der Handel auf höhermargige Lifestyle-Artikel konzentrieren. Über einen Teil der Logistiksparte verhandelt das Management derzeit mit Logistikern wie dem Schweizer Konzern Kühne & Nagel, Fiege und DHL. Die 25-prozentige Beteiligung an der Druckerei maul-belser soll an Bertelsmann abgetreten werden.
Zwei Jahrzehnte nach der Übernahme von Neckermann und nur fünf Jahre nach der Fusion mit Quelle stammen bereits 52 Prozent der Einnahmen des Handelsriesen aus dem Distanzhandel. "Ob die Neupositionierung der beiden Universalversender mit Umsatzeinbußen einhergeht, muss man abwarten", sagt Gawlas. "Doch angesichts der erklärten Ziele des Vorstands wird die Bedeutung des Versandhandels für den Konzern sicher steigen." asc
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