28.07.2006 - Michael Otto über die Zukunft des Versandhandels und die Strategie seines Konzerns
Er ist der größte Versandhändler der Welt. Wenn es ihm schlecht geht, dann leidet auch der Rest der Branche. Allerdings sieht die Otto Group seit Jahren im klassischen Versandhandel erstmals wieder einen Aufwärtstrend. Konzernchef Dr. Michael Otto erläutert, warum.
Der Versandhandel steckt nach wie vor in der Flaute. Die Otto Group steht zwar besser da als der Durchschnitt, aber auch die Universalversender Otto, Schwab und Baur mussten im zurückliegenden Geschäftsjahr ein Umsatzminus von 6,3 Prozent hinnehmen. Was haben Sie im Dialog mit den Kunden falsch gemacht?
Man muss sehen, dass die Kunden sich in zwei Richtungen entwickeln: Entweder sie kaufen zum Discountpreis ein, oder sie suchen nach aktuellen Waren. Der Versandhandel hat sich in den vergangenen Jahren schwer getan, auf diese Wünsche zu reagieren. Er hat es versäumt, aktuelle Mode schnell in den Markt zu bringen. Das konnten wir nur im Online-Bereich. Deswegen ist dieser Bereich im vergangenen Geschäftsjahr auch um 30 Prozent gewachsen. Im Katalogbereich war das in der Regel leider nicht möglich.
Wie steuern Sie gegen?
Wir waren die Ersten, die die gesamten Prozesse neu strukturiert haben. Wir haben erkannt, dass wir in unserer gesamten Katalogproduktion sehr viel schneller werden mussten. Dazu mussten auch die Beschaffungsprozesse neu geordnet werden. Inzwischen haben wir deutlich mehr und aktuellere Kataloge als früher.
Mit zusätzlichen Katalogen können Sie sicherlich den Umsatz steigern. Aber können Sie auf diese Weise auch Ihren Gewinn erhöhen?
Aber ja! Und zwar nicht, weil wir die neuen Kataloge einfach obendrauf setzen, sondern durch Umschichtung von Katalogauflagen und Katalogseiten. Diese Kataloge setzen wir dann sehr viel gezielter ein, differenzieren stärker nach Kundengruppen. Und damit kann man nicht nur den Umsatz, sondern auch den Ertrag steigern.
Die Zahlen scheinen Sie zu bestätigen. Die Einzelgesellschaft Otto hat im vergangenen Geschäftsjahr zwar ein Umsatzminus von 7,7 Prozent erzielt, im ersten Quartal, also von März bis Mai 2006, aber ein leichtes Umsatzplus von 0,3 Prozent erwirtschaftet. Gehen Sie davon aus, dass die Trendumkehr nun erreicht ist?
Es ist uns gelungen, rückläufige Umsätze zu stoppen. Wir sind auf einem Weg, auf dem wir wieder Zuwächse erzielen. Das wird sich auch im Ergebnis widerspiegeln. Ich gehe davon aus, dass diese Entwicklung für den Rest des Geschäftsjahres anhält.
Was ist jetzt anders gelaufen als zuvor?
Wir sind schneller und besser geworden. Wir haben aus unseren neuen Katalogen vom vergangenen Jahr gelernt, die damals noch nicht optimal waren. Jetzt haben wir deutlich passgenauere Kataloge. Und das wissen unsere Kunden auch zu schätzen.
Sie gehen davon aus, dass sich die Kunden mittelfristig spürbar anders verhalten als heute?
Der Konsument will nicht mehr nur konsumieren, er möchte aktiv teilnehmen. Deswegen haben wir ja unsere Innovationsoffensive "E-Shopping 2.0" gestartet. Dazu gehört eben auch, dass wir Plattformen schaffen, auf denen die Kunden mit uns, aber auch untereinander kommunizieren können. Sie können sich zum Beispiel über die Ware und den Service austauschen. Zudem ist es eine Plattform, Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten, von denen wir lernen können.
Starten Sie nicht etwas spät durch?
Nein. Im Modebereich sind wir mit dem Konzept "E-Shopping 2.0" die Ersten. Klar: Simple Chatrooms gibt es in anderen Branchen schon länger. Aber bei uns können sich die Kunden über Sortimente, andere Shops und Marken unterhalten. Wir werden damit im Modebereich Akzente setzen.
Sie bereiten "E-Shopping 2.0" gemeinsam mit Windows Vista vor und wollen neben den interaktiven Elementen weitere Dialogformen ergänzen. Welche?
Gemeinsam mit Microsoft haben wir - als Teil unserer Initiative "E-Shopping 2.0" - die Vision eines Otto-Stores der Zukunft entwickelt. Wenn dies Realität wird, gehören neue Dialogformen selbstverständlich dazu.
Können Sie sich denn vorstellen, moderierte Verkaufssendungen - wie bei den Shopping-Sendern im Fernsehen - im Internet zu präsentieren?
Wir sehen größere Chancen im interaktiven TV. Der Grund ist ganz einfach: Der Kunde kann dort von sich aus entscheiden, wann er was sehen möchte. Es ist durchaus möglich, dass eine Kundin, die etwas über Abendkleider erfahren möchte, eine moderierte Modenschau anklicken kann. Wir haben aber nicht vor, rund um die Uhr Produkte zu präsentieren. Da müsste ja die Kundin Stunden vor dem Fernseher sitzen, bis ein Produkt erscheint, das ihr gefällt. Unsere Kunden wollen gezielter informiert werden.
Die Verzahnung der Medien entwickelt sich rasant. Werfen Sie doch bitte einen Blick in die Zukunft. Welche Rolle kann der Katalog im Wettbewerb mit neuen Medien überhaupt noch spielen?
Ich bin überzeugt davon, dass der Katalog Bestand haben wird. Der Kunde nutzt den Katalog und das Internet zu unterschiedlichen Zeiten und mit unterschiedlichen Zielen. So wird er sich weiterhin mit seinem Katalog etwa in den Garten setzen und ihn in aller Ruhe durchblättern wollen.
Aber ein Online-Katalog kann nicht nur aktueller sein, er ist mit Hilfe eines Notebooks auch viel leichter und kann natürlich auch im Garten genutzt werden.
Ich denke, die Kombination macht die Stärke aus. Richtig ist: E-Commerce, M-Commerce und T-Commerce werden an Bedeutung gewinnen. Ich gehe davon aus, dass das Internet in den nächsten Jahren einen Umsatzanteil von 50 Prozent haben wird. Aber es ist natürlich auch die Frage, wie man Internet- und Kataloggeschäft voneinander abgrenzt. Wenn ein Katalogkunde über das Internet bestellt, ist uns das sehr recht, weil das für uns kostengünstiger ist als eine schriftliche Bestellung oder ein Anruf im Call-Center. Noch mal: Die Kombination von Internet und Katalog ist die Lösung. Wir haben bereits jetzt zahlreiche reine Internetkunden. Wenn wir dieser Zielgruppe zusätzlich Kataloge schicken, erzielen wir stets deutlich höhere Umsätze. Das beweist: Unsere Kunden allein sollen entscheiden, auf welchem Weg sie sich informieren und einkaufen.
Martin Teschke
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